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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
Autoren: Tanja Kinkel
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erklärt, daß ich mich mit ihren schlimmsten Feinden verbündet hätte - viz. Lord Carlisle, Mr. Hanson und Du - und beehrt uns alle mit einer Reihe von Bezeichnungen…
    zum Schluß nennt sie mich einen echten Byron, was das schlimmste Schimpfwort ist, das sie finden kann.«
    Catherine hatte es mit einem aufwachsenden Jugendlichen zu tun, der einen Großteil ihres eigenen Temperaments geerbt hatte. Schon sie dazu zu bewegen, die Hilfsmaschinen für seinen Fuß - die trotz jahrelanger Quälerei nicht das geringste Ergebnis gebracht hatten - zu entfernen, bevor sie ihn nach Harrow schickte, war ein monatelanger Kampf gewesen. Jetzt, da er ihr immer weniger gehorchte, überschüttete sie ihn abwechselnd mit Küssen und beschimpfte ihn dann wieder. Sie warf ihm die Ähnlichkeit mit seinem Vater vor und bewirkte dadurch eine lebenslange Sympathie für diesen ansonsten unrühmlichen Gentleman. Häufig griff sie zu ihrer schrecklichsten Waffe, ihn als »lahmes Balg« zu verfluchen.
    Byron erweiterte in Harrow die Liste seiner sportlichen Fähigkeiten und ging unter die Schützen, und obwohl seine Treffsicherheit bald die Achtung seiner Kameraden noch steigerte, gab auch sie ihm nicht das erwünschte Gefühl der Gleichwertigkeit.
    Der verkrüppelte rechte Fuß prägte ihn für immer und ewig, und es gab keinen Tag, an dem er nicht unter dieser Behinderung litt.
    Seine Briefe an die unbekannte Schwester spiegelten seine ständig wechselnden Stimmungen, einmal melancholisch, dann wieder witzig, mit einer reizenden Mischung aus Naivität und Altklugheit: »Kannst Du Dir diesen Cousin nicht aus Deinem hübschen Kopf schlagen?… Und wenn ich fünfzig Mätressen hätte, ich würde sie alle am nächsten Tag vergessen!« Augusta mußte zuerst lachen, als sie diesen Brief von ihrem noch nicht fünfzehnjährigen Bruder erhielt, fand den folgenden Teil seines Berichtes jedoch sehr viel ernster.
    Er enthielt die ausführliche Schilderung einer neuen Byron’schen Familienszene, die sich zu allem Überfluß noch in Harrow, vor den Ohren der gesamten Schule, zugetragen hatte, Byron wußte genau, daß er noch monatelang wegen dieser öffentlichen Ohrfeigen und Maßregelungen seiner Mutter gehänselt werden würde, und das, nachdem er seine Mitschüler gerade erst dazu gebracht hatte, seine Lahmheit zu übersehen. Einer seiner Freunde hatte ihm mitleidig zugeflüstert, als Catherine gerade in ihrer Schimpftirade innehielt, um Luft zu holen: »Byron, deine Mutter ist eine Närrin.«
    »Ich weiß.«
    Eigentlich nahm er sie schon längst nicht mehr ernst, aber als er an Augusta schrieb, tauchte die ganze Peinlichkeit dieser Szene erneut vor ihm auf, und er schloß: »Muß ich diese Frau Mutter nennen?!!!« In einem Postskriptum gab er der Hoffnung Ausdruck, die nächsten Ferien nicht zu überleben.
    Augusta lag es eigentlich nicht, sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen, doch an dieser Stelle überlegte sie zweimal und entschied sich dann, an den Familienanwalt Hanson zu schreiben. Lord Carlisle, so führte sie aus, hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ihr Bruder die nächsten Ferien bei seinem Anwalt Hanson und nicht bei seiner Mutter verbringen würde, was angesichts der angespannten Situation ohnehin für beide Teile das Beste wäre. Außerdem könnte Hanson dann mit Byron einen Abstecher zu den Howards machen, wo nicht nur Lord Carlisle, sondern auch sie selbst zum ersten Mal das Vergnügen einer persönlichen Begegnung haben könnten.
    Die Herren Hanson und Carlisle zeigten sich einverstanden, Byron war begeistert, und Catherine schrieb an alle drei Intriganten einen rachsüchtigen Brief, in dem sie ihren verwundeten Gefühlen auf eine Weise Luft machte, die ihr Sohn als »Meisterübung im Furioso-Stil« bezeichnete, oder auch als »die Explosion der Dowager auf Papier«.
    Diese Begegnung, der so schnell keine zweite folgen sollte, wäre um ein Haar katastrophal verlaufen. Sicher, der Abend, an dem Hanson und sein junger Klient bei den Howards dinierten, fing vielversprechend genug an.
    Castle Howard war eine der größten Festungen, die die Normannen je erbaut hatten, und Byron war von der Anlage, die auch nicht die geringste Verfallserscheinung zeigte, nachhaltig beeindruckt. Traurig dachte er an die Große Halle von Newstead Abbey, die er zur Zeit nur noch zu Schießübungen benutzen konnte. Diese Halle war üppig eingerichtet, nicht nur mit dem üblichen riesigen, schweren Eichentisch, sondern auch mit Porträts und
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