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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
Autoren: Tanja Kinkel
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Unter den Tränen kam mit einem Mal ihr altes Gelächter zum Vorschein, geboren aus der Überzeugung, daß die Welt verrückt und schon deshalb nicht ernst zu nehmen sei. »Das Leben ist doch schön!«

1788-1812
     
    »Ein unverheiratetes Mädchen wünscht natürlich, verheiratet zu sein - wenn sie zugleich heiraten & lieben kann, ist es gut - aber auf jeden Fall muß sie lieben.«
     
    »Ich weiß nicht, wie das Leben anderer Menschen gewesen ist - aber ich kann mir nichts Seltsameres vorstellen als einige der früheren Teile des meinen.«
     
    Als sie sich das erste Mal begegneten, hatten sie beide ihre Kindheit schon hinter sich. Frühere Gemeinsamkeiten gab es nicht, obwohl Augusta vage Erinnerungen an Byron als Säugling und Kleinkind hatte. Ada nannte er sie damals, Aber da Augustas Großmutter, Lady Holderness, sie nach dem Tod Captain Byrons sofort zu sich geholt hatte - was einen jahrzehntelangen Streit mit Augustas Stiefmutter nach sich zog -, waren beide Geschwister als Einzelkinder aufgewachsen.
    Augusta lebte hauptsächlich bei ihrer Großmutter, aber manchmal auch bei Freunden, den Howards, oder bei ihren erheblich älteren Halbgeschwistern. Dort wurde sie zwar freundlich, aber doch etwas gönnerhaft aufgenommen, da man in ihr die Frucht eines ruinösen Skandals sah. Ihre Mutter, die bildschöne Marquise Carmarthen, hatte seinerzeit Mann, Kinder und gesellschaftliche Stellung aufgegeben, um mit Captain John Byron nach Paris durchzubrennen. Als wollte sie das Schicksal strafen, starb sie nach der Scheidung von dem Marquis und einer kurzen Ehe mit John Byron bei der Geburt ihrer Tochter.
    John Byron, in Familienkreisen kurz »der tolle Jack« genannt, fand alsbald eine neue Gemahlin: die Schottin Catherine Gordon of Gight, plump, unhübsch, steinreich. Binnen eines Jahres hatte er sie, wie schon die Marquise, um ihr Vermögen gebracht. Er schenkte ihr einen Sohn, den er allerdings nie richtig kennenlernte, da ihn die ständige Flucht vor seinen Gläubigern immer wieder ins Ausland trieb, wo er schließlich starb.
    Die Verwandtschaft seiner beiden Gemahlinnen atmete auf. Die Gordons waren erleichtert, weil Catherine jetzt endlich diesem Ausbeuter, den sie abwechselnd umbringen und ihm dann wieder bis an das Ende der Welt folgen wollte, befreit war. Lady Holderness, die Mutter der Marquise Carmarthen, sah nun eine Möglichkeit, die Frucht der bedauernswerten Verirrung ihrer Tochter unter ihre Aufsicht zu bringen, denn Mrs. Catherine Byron, so hatte sie gehört, war als Erzieherin denkbar ungeeignet. Sie machte vor allem durch ihre Angewohnheit, Geschirr an den Wänden zu zertrümmern, von sich reden.
    So wuchs Augusta bei verschiedenen Verwandten auf, ihr Bruder George Gordon dagegen bei seiner Mutter, begleitet von ständigen Temperamentsausbrüchen. Lady Holderness, bei der Augusta sich meistens aufhielt, war nicht mehr die Jüngste. Sie kümmerte sich liebevoll um ihr Enkelkind, aber da sie sehr schnell ermüdete, bestand ein Großteil ihrer Erziehung in kleinen Erzählungen und dem abendlichen Gebet. Augusta blieb häufig sich selbst überlassen und verbrachte viel Zeit mit den Dienstboten, ob nun in der Küche, in Lady Holderness’ sorgsam gehüteten Garten oder auf einer der Koppeln ihres Landguts.
    Dieses regelmäßige Zusammensein mit den Hausangestellten ließ Augusta manche Erfahrung sammeln, die sie von ihren Altersgenossen unterschied und zu durchaus fragwürdigen Situationen führte. Denn die Saison verbrachte Lady Holderness für gewöhnlich in ihrem Londoner Stadthaus. An den nachmittäglichen Teegesellschaften durften auch die Kinder teilnehmen.
    Ein beliebtes Gesprächsthema waren die schockierenden Neuigkeiten aus Paris, wo die Bevölkerung nach dem Ende von Robespierres Schreckensherrschaft in einen hemmungslosen Vergnügungstaumel gefallen war. »Es ist unglaublich«, mokierte sich Lady Carlisle. »Man sagt, daß die Tallien und diese Kreolin, die Beauharnais - daß diese Frauen tatsächlich in ihren Salons manchmal nur von Rosenblüten bedeckt als griechische Göttinnen auftreten!«
    Sie vergewisserte sich mit einem raschen Blick, daß ihre kleine Gertrude außer Hörweite war. »Und wenn man bedenkt, meine Liebe - beide sind adeliger Abstammung und unterhalten dennoch gleichzeitig Beziehungen zu diesem Emporkömmling Barras.«
    Lady Holderness verzog den Mund. »Mit der adeligen Abstammung ist es nicht sehr weit her. Die Beauharnais stammt aus Martinique, und man weiß ja, wie dort
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