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Wahn

Wahn

Titel: Wahn
Autoren: Christof Kessler
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Schlaganfall erlitten hatte. Seine linksseitige Halsschlagader war eingerissen, dieser Zustand wird Dissekat genannt. Solch ein Einriss der lebenswichtigen Halsschlagader kann durch einen Schlag auf die Halsseite oder auch ohne fassbare Ursachen geschehen. Im Bereich der eingerissenen Arterienwand hatten sich bei Robert Gerinnsel gebildet und waren mit dem Blutstrom als Embolie ins Gehirn verschleppt worden. Leider ist dabei die Hauptschlagader, die die linke Hirnhälfte mit Blut versorgt, komplett verschlossen worden. Die Folge war, dass das Gehirn in einem relativ großen Bereich mit Sauerstoff unterversorgt war. Nachdem Robert in unsere Klinik eingeliefert worden ist, wurde sofort gehandelt und ein Medikament infundiert, das die Gerinnsel wieder auflösen sollte. Zurzeit müsse man abwarten, ob die Behandlung erfolgreich war oder nicht. Das Sprachzentrum ist betroffen, und es besteht die Gefahr, dass Robert nicht mehr richtig sprechen können wird. Auch sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass er eine Halbseitenlähmung zurückbehalten werde.
    »Er wohnt erst seit vier Wochen bei mir und den Kindern«, murmelte sie, »erst seit vier Wochen.«
    »Wollen Sie jetzt zu ihm gehen?«, fragte ich vorsichtig.
    »Nein, ich will ihn so nicht sehen.«
    Vor zwei Jahren hatte Robert mit seiner Frau Gudrun Silvester in der geräumigen Wohnung ihrer Freunde Susanne und Henrik Gutwind gefeiert. Robert und Henrik kannten sich vom Sport, die Paare hatten sich schon mehrmals getroffen, auch im Sommer in Roberts und Gudruns Garten zum Grillen. Eine zusätzliche Verbindung zwischen den Paaren waren die Kinder, jeweils ein Junge und ein Mädchen. Henrik unterrichtete Mathematik und Physik an einem Gymnasium. Er war kleiner als Robert, sprach auch leiser und hatte ein breites Spektrum an Interessen, z.B. gelang es ihm einmal, Robert und Gudrun zum Besuch einer Premiere von Schillers Räubern zu überreden.
    Die Kinder hatten diesen ganzen Silvesterabend oben in den Kinderzimmern getobt, während die Erwachsenen unten genüsslich bei einem Fondue und viel Wein zusammensaßen. Da die Kinder gegen 22 Uhr zu quengeln begannen, wurde für sie mit Wunderkerzen draußen im Vorgarten ein vorgezogenes »Prosit Neujahr« veranstaltet, anschließend wurden sie unkompliziert mit einem Gutenacht-Kuss ins Bett gebracht. Nach der Neujahrsböllerei saßen die Paare bei Cognac und Kaffee zusammen. Henrik hatte eine gefühlige CD aufgelegt und tanzte eng umschlungen mit Gudrun. Robert beobachtete mit glasiger Verwunderung, wie sehr seine Frau Henriks Umarmung erwiderte. Plötzlich spürte er Susanne neben sich. Sie schmiegte sich zärtlich an ihn und legte ihre Hand sacht auf den anschwellenden Bereich seines Schrittes. Er küsste sie, dann nahm er Susanne bei der Hand und ging mit ihr in das Schlafzimmer seiner Gastgeber. Beim Verlassen des Raumes sah er noch, dass Henrik den Verschluss an Gudruns BH gelöst hatte und beim Tanzen seine Hand auf ihre Brust legte.
    Morgens beim Frühstück war die Stimmung verhalten und verlegen, durch die Kinder und deren Quengeln hatten Gudrun und Susanne ablenkende Beschäftigung. Robert hatte die Nacht mit Susanne im ehelichen Schlafzimmer verbracht und Henrik mit Gudrun auf der Couch, die am Morgen ausgezogen und mit Kissen und Bettzeug bestückt war. Während er sein Rührei aß, sagte Henrik: »Warum eigentlich nicht? Ich fand es schön. Immerhin sind wir erwachsene Menschen.«
    In der Folge wurde der Partnertausch zu etwas Üblichem zwischen den beiden Paaren. Während der Woche führten sie eine ganz normale Ehe, und fast schon gewohnheitsmäßig besuchten sie sich am Wochenende gegenseitig, um in veränderter Konstellation die Nacht zu verbringen. Einmal schlug Henrik vor, es zu viert zu machen, alle vier im großen Ehebett. Für Robert war es fürchterlich, in Anwesenheit Gudruns gelang es ihm nicht, in Susanne einzudringen, und Gudruns ekstatische Schreie, während Henrik auf ihr lag, irritierten ihn.
    Schließlich machten die beiden Familien gemeinsam Urlaub in Griechenland. Sie hatten einen All-Inclusive-Club auf Korfu ausgewählt und wohnten in zwei aneinandergrenzenden Appartements. Alkohol floss in Strömen, an jeder Bar des Clubs konnten sie soviel Wodka, Ouzo, Brandy oder Gin trinken, wie sie wollten.
    Gegen Ende des Urlaubs trafen sie sich wie jeden Abend in der »Piratenbar«, mit zauberhaftem Blick auf das Meer. Die Bar war an diesem Abend noch nicht besonders bevölkert, da drüben in der Arena von
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