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Wahn

Wahn

Titel: Wahn
Autoren: Christof Kessler
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der Aktenschränke und der Tresore notwendig, um die Beweismittel für die mafiösen Umtriebe zu sichern. Während der gesamten Aktion hatten seine Arme und Beine unwillkürliche, ausfahrende Bewegungen und Zuckungen vollführt. Vielleicht hatte er doch etwas zuviel von den Tabletten genommen? »Aber lieber so, als festgefroren zu sein«, sagte er sich.
    Er öffnete die Aktenschränke und entnahm ihnen Ordner für Ordner. Er schlug sie auf, musterte ihren Inhalt und warf sie verärgert in den Raum. Verbissen arbeitete er sich durch die einzelnen Ablagen. Voller Verachtung schleuderte er die unnützen Dokumente mit Gutachten, Einsprüchen und Materialbeschreibungen auf einen immer größer werdenden Haufen. Er konnte nichts Auffälliges finden. »Mann, waren die geschickt.« Kein einziger Hinweis auf Mafia-Kontakte oder andere Verbrechen. Irgendwo musste ein Tresor sein oder ein verborgenes Versteck. Er nahm einen Schraubenschlüssel und einen Hammer aus einem der herumliegenden Werkzeugkästen und begann die Wand hinter dem Schreibtisch aufzuklopfen. Der Verputz spritzte und seine Hände färbten sich von dem sich ablösenden Kalk weiß. Über dem Schreibtisch hing ein Poster, das ein halbentkleidetes Mädchen mit nacktem Busen zeigte. Er riss es von der Wand und schlug an dieser Stelle ein großes Loch.
    Aber er fand den Tresor nicht. Ebenso wenig fand er verdächtige Dokumente oder sonstige Unterlagen, die den engen Kontakt der Werkstatt zu diversen Verbrecherorganisationen hätten beweisen können. Seine Wut steigerte sich von Minute zu Minute, zwischendurch musste er noch ein bis zwei Tabletten nehmen, um Herr der Lage zu bleiben.
    Die beiden Polizeibeamten, die von Passanten auf die Autowerkstatt aufmerksam gemacht worden waren, hörten das Klopfen, Schreien und Krakeelen schon von draußen. Sie fanden nicht nur eine zersplitterte Eingangstür vor, sondern auch ein komplett verwüstetes Büro mit einer großen Menge von Akten, die zerfleddert im Raum herumlagen. Ferner, inmitten der achtlos hingeworfenen Papiere, einen gefesselten und geknebelten Angestellten der Autowerkstatt, halb erstickt an seinem Erbrochenen, das rechts und links unter dem aufgeklebten Paketband hervorquoll, und mit deutlichen Spuren einer Harnentleerung im Schritt seiner Arbeitshose.
    Daneben ein tobender und sichtlich verwirrter Mann, der von der Gefahr eines Mafia-Komplotts faselte und immer wieder geheimnisvoll in sich hineinhorchte, um mit seinen inneren Stimmen zu kommunizieren.
    Sie führten den Tobenden ab, zunächst auf die Wache, dann ins Gefängnis. Als er aber dort unentwegt gegen Himmelsmächte kämpfte, Teufelsfratzen abwehrte und nachts vom Fenster aus seine Heerscharen auf ihre nächsten Schlachten vorbereitete, kam man zu dem Entschluss, den Gefangenen Eberhard Sommerfeld in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie zu bringen, um ihn auf seinen Geisteszustand hin untersuchen zu lassen.
    Einen Tag später wurde ich von der Klinik für Forensische Psychiatrie zu einer Konsultation gebeten. Es ging um die Frage, ob beim Patienten Sommerfeld eine Parkinsonsche Erkrankung vorlag und wie die weitere Behandlung des Patienten auszusehen hätte. In der Psychiatrie angekommen, bat ich zunächst, die Akte des Patienten einsehen zu können. Den Aufzeichnungen des aufnehmenden Arztes war zu entnehmen, dass Herr Sommerfeld seit mindestens fünf Jahren bei einem niedergelassenen Neurologen wegen einer Parkinsonschen Erkrankung in Behandlung war. Bei der Parkinsonschen Erkrankung gehen Nervenzellen in einem eng umgrenzten Teil des Gehirns, der »Substantia nigra«, zugrunde. Die Ursache hierfür ist bis heute unbekannt. Die Nervenzellen der Substantia nigra sind darauf spezialisiert, Dopamin zu produzieren. Bei dem Dopamin handelt es sich um einen Überträgerstoff des Gehirns, der unter anderem eine wichtige Rolle bei der Regulierung unserer Motorik spielt. Bei Patienten mit Dopaminmangel besteht eine eingeschränkte Beweglichkeit, das Gangbild wird trippelnd, die Körperhaltung gebeugt, das Gesicht ausdruckslos. Dieser Zustand wird gemeinhin als die Parkinsonsche Erkrankung bezeichnet. Die mangelhafte Dopaminproduktion wirkt sich jedoch nicht nur auf die Motorik aus, sondern hat auch Einfluss auf das seelische Wohlbefinden. Dopamin stimuliert das Gehirn positiv, die Empfindungen von Glück und Zufriedenheit sind eng mit der Ausschüttung von Dopamin in unserem Gehirn verbunden. Ein Mangel dieses Stoffes, wie er bei den
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