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Wahn

Wahn

Titel: Wahn
Autoren: Christof Kessler
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nächsten Morgen rief er bei seinem Hausarzt an, den er seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus nicht mehr konsultiert hatte. Die vertraute Stimme der Arzthelferin tat ihm gut: »Wie geht es Ihnen, Herr Sommerfeld? Nein, wir haben noch keinen Bericht aus der Klinik erhalten. Sie wissen ja, das dauert leider immer etwas.«
    »Wie gut«, dachte Herr Sommerfeld, »dann können sie noch nichts von der Dopamin-Pumpe wissen.«
    Mit fester Stimme und möglichst beiläufig sagte er: »Ich brauche Medikamente. Können Sie mir wie immer ein Rezept zurechtmachen, das hole ich dann ab.«
    Er diktierte der ahnungslosen Arzthelferin eine beachtliche Reihe an Parkinson-Medikamenten.
    »Ich hole heute Nachmittag das Rezept ab. Und machen Sie mir bitte einen regulären Termin beim Doktor. In zwei bis drei Wochen, vorerst bin ich gut versorgt.«
    Am Nachmittag hielt er das Rezept in seinen Händen.
    Als er dann am Abend zu Bett ging, sah er nach einigen zusätzlichen L-Dopa-Tabletten den Mann im braunen Anzug wieder auf seinem Schrank sitzen und ihn mustern. Er hatte ihn erwartet, deshalb war er weder überrascht noch beunruhigt.
    »Corelli, Corelli, Corelli …«, flüsterte er im Selbstgespräch immer wieder vor sich hin. Er vermutete, dass die Mafia, die schon das Autohaus übernommen hatte, sich jetzt weiter in der Stadt und den Verkehrsbetrieben breitmachen würde. Das Ziel lag auf der Hand: Internationaler Handel mit Schrottautos, die vom Westen in den Ostblock gebracht wurden, daneben Geldwäsche, Drogenhandel und was sonst noch so anfällt bei diesen Herren. Ein ausgeklügelter Plan, es ging um Milliarden. Und das mit der gesamten Stadtverwaltung im Rücken. Sauberer Plan. Offensichtlich war er der Einzige, der diese Zusammenhänge erkannt hatte.
    Unter seinem Federbett begann er so sehr zu schwitzen, dass er seinen Schlafanzug wechseln musste. Wie sollte er weiter vorgehen? Jetzt hieß es klug und besonnen zu sein. »Kalt wie eine Hundeschnauze«, murmelte er und betätigte den Schalter seiner Nachttischlampe.
    Bislang hatte er den Typen mit dem braunen Anzug auf seinem Schrank komplett ignoriert. Er wusste aber, dass er da war. Jetzt wurde es Zeit, einige deutliche Worte mit ihm zu reden. Immerhin war er der Verbindungsmann und würde alles, was er ihm zu sagen hatte, an die Führungsclique weitergeben.
    Mit seinem frischen Schlafanzug fühlte er sich viel wohler. Er zog die Daunendecke etwas höher, schaute dem Fremden direkt in die leeren Augen und rief: »He, Freundchen, du brauchst gar nicht so zu glotzen, dein Spiel ist durchschaut. Ich mache euch fertig.«
    Er ließ dabei seinen rechten Arm über den Bettrand zum Boden sinken, bekam eine halbvolle Plastikflasche Mineralwasser zu fassen und schleuderte sie auf die Gestalt. Dabei verfehlte er den unerwünschten Besucher nur ganz knapp, der sich von dieser Attacke nicht beirren ließ, sondern weiterhin ganz ruhig und regungslos sitzen blieb.
    Am nächsten Morgen klopfte es an der Wohnungstür.
    »Komisch«, dachte er, »warum klingelt er nicht?« Außerdem konnte er sich gar nicht vorstellen, wer ihn besuchen sollte. Eigentlich hatte er noch nie Besuch bekommen.
    Er ging zur Tür. Dabei machte er sich im Geiste darauf gefasst, dass niemand draußen stehen würde. Wahrscheinlich war das Klopfen wieder so eine Art Einbildung durch die vielen Medikamente, die er einnehmen musste.
    Draußen standen zwei unfreundlich dreinblickende Männer. Beide hatten kahlgeschorene Schädel, die im fahlen Licht der Treppenhausbeleuchtung glänzten. Sie trugen schwarze Bomberjacken. Jeder hatte einen Ohrring in seinem rechten Ohr. An der rechten Halsseite des einen war ein Drache oder eine Eidechse tätowiert. »Guten Tag, Herr Sommerfeld. Wir kommen von dem Autohaus, in dem Sie früher gearbeitet haben.«
    »Die beiden gibt es nicht in echt, das bildest du dir nur ein, wie den Mann auf dem Schrank, so sehen keine realen Besucher aus«, dachte er bei sich und war gerade dabei, die Wohnungstür wieder zu schließen, als der Stämmigere der beiden ausholte, um ihm mit geballter Faust voller Wucht in den Bauch zu schlagen. »Das dafür, du Schwein, dass du unseren Werkstattleiter fertiggemacht hast.« Augenblicklich wurde es dunkel vor Herrn Sommerfelds Augen. Er schnappte keuchend nach Luft und jaulte vor Schmerz auf. Er wäre vornüber zu Boden gegangen, wenn er nicht vom Knie des Angreifers im Gesicht getroffen und nach hinten gegen den Garderobenspiegel geschleudert worden
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