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Wächter des Mythos (German Edition)

Wächter des Mythos (German Edition)

Titel: Wächter des Mythos (German Edition)
Autoren: Christoph Saurer
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an, doch Gabriel entging der spöttische Funken in ihren Augen nicht. Gleichwohl durchströmte ihn ein seltsames Gefühl von Wärme und er hätte Alina am liebsten noch einmal in seine Arme genommen.
    »Ist dir in der Kathedrale zufälligerweise die Skulptur von Santiago Matamoro, dem Maurentöter aufgefallen?«
    »Nein.«
    »Sie befindet sich im linken Querschiff in einer Nische. Heute wird die untere Hälfte dieser Plastik, in der die abgeschlachteten Mauren dargestellt sind, durch üppigen Blumenschmuck verdeckt. Solche Art der Darstellung verstanden meine Ahnen nicht gerade als Aufforderung, diese Kirche je zu betreten. Wir gaben uns damit zufrieden, dass der Kelch von den Templern stammte. Jeder meiner Vorfahren wusste das und verehrte die geheime Bedeutung des Kelches. Ich bin froh, der Erste in meiner Familie zu sein, der jetzt seine wahre Bedeutung begreifen kann. Aber ich muss auch gestehen, dass ich darüber nicht besonders glücklich bin. Denn ich bin mir nicht sicher, wohin uns das alles führen wird.«
    »Nach allem, was geschehen ist? Wovor hast du denn jetzt noch Angst? Dass man versuchen wird, uns umzubringen, weil wir das Ganze aufgedeckt haben?«
    Gabriel blickte sie eine Weile nachdenklich an, bevor er ihr antwortete. »Wie ich sehe, bist du dir darüber schon im Klaren. Daher ist es jetzt wohl doch besser, von hier zu verschwinden.«
    Alina blickte ihn gefasst an. »Wie du meinst«, sagte sie seufzend. »Dem steht nicht viel im Wege, die Türen sind hier zum Glück nicht verschlossen.«
    Alina war gerade im Begriff, den Raum zu verlassen, als Gabriel einen letzten prüfenden Blick in das Zimmer warf. »Diese Taschenlampe dort, die nehmen wir wohl besser mit, falls sie funktioniert.«
    Gabriel griff sich die Lampe, prüfte sie kurz und steckte sie wortlos ein. Dann brachen sie auf und irrten durch die endlos verschachtelten Gänge und Gewölbe. Alina begann aufmerksam, das Mauerwerk und seine Bauart zu prüfen.
    »Wir befinden uns hier wirklich in einem fürchterlichen Chaos aus den unterschiedlichsten Epochen«, sagte sie plötzlich. »Aber wenn man bedenkt, dass neben dem romanischen Kern der heutigen Kathedrale hier unten tief in der Erde auch noch die Reste der ehemaligen Basilika zu finden sind, die, wenn ich mich richtig entsinne, bereits im Jahr 899 geweiht wurde, dann ist das ja auch nicht weiter erstaunlich. An der Kathedrale wurde in ihrer über tausendjährigen Geschichte ja auch permanent herumgebastelt, zuletzt in der Neoklassik. An- und Umbauten, Demontage und Zerstörung benachbarter Gebäude und Klosteranlagen gehörten hier wohl zum Alltag.«
    Die zahlreichen unterirdischen Gänge, Gewölbe und Treppen, die die jahrhundertelange Bauwut überlebt hatten, waren wie ein Labyrinth miteinander verbunden. Es gab Korridore und auch Türen, die abrupt vor Mauern endeten, auf- und absteigende Treppen und ein einzigartiges Gewirr aus zahllosen Gängen. Die Türen, die sich als echt herausstellten, führten oft in verlassene Räume oder Abstellkammern. So hasteten sie orientierungslos weiter.
    Als sie wieder in einem toten Gang gelandet waren und sich einen anderen Weg suchen mussten, sagte Alina seufzend: »Selbst Theseus hätte sich auf der Suche nach dem Minotaurus in einem derartigen Labyrinth verirrt.«
    Gabriel blieb stehen und starrte sie an. »Was hast du gerade gesagt?«
    »Die Sage«, meinte sie verwirrt. »Das Labyrinth, in dem der schreckliche Minotaurus hauste. Du weißt schon.«
    »Nein, erzähl!«
    »Warum? Der Minotaurus war ein ganz brutales Mischwesen aus Mensch und Stier, gefangen in einem Labyrinth auf Kreta.«
    »Erzähl mir bitte die ganze Geschichte«, bat Gabriel sie inständig. Während sie weitergingen, begann Alina zu erzählen.
    »Nun, der Sage nach hatte Minos den Meeresgott Poseidon erzürnt, weil er ihm einen prächtigen weißen Stier als Opfergabe vorenthalten wollte. Aus Rache sorgte Poseidon dafür, dass sich Minos Frau Pasiphaë unsterblich in das Tier verliebte. Also bat sie den Erfinder Daidalos, ihr ein Kuhgerüst zu bauen, in dem sie sich verstecken und sich so mit diesem schönen Stier vereinen konnte. Das Ergebnis war dann die Geburt des Minotaurus, einem Mischwesen aus Mensch und Stier.«
    »Ja, diesen Teil kenne ich schon. Und wie geht es weiter?«
    »Das gefiel dem König Minos nicht, er wollte den Minotaurus gleich nach seiner Geburt töten. Dass er nicht getötet wurde, verdankte er seiner Schwester Ariadne, die um sein Leben bat. Minos gab
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