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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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absonderlichste Zutat im Horrorcocktail seines Lebens – und diejenige, die sein Vertrauen in seine geistige Gesundheit vielleicht am nachhaltigsten erschütterte – war das Eisen.
    Andion erschauerte. Mühsam öffnete er die Augen und warf einen gequälten Blick zurück auf das alte Schulgebäude, das wie eine große, bösartige Kreatur über ihm aufragte und aus kalten, hungrigen Augen auf ihn herabzustarren schien. Selbst hier im Freien spürte er noch die Hitze, in der das Eisen geschmiedet worden war, spürte die Ströme glutflüssiger Lava, die in den dicken Backsteinmauern pulsierten und sich wie das monströse Netz einer Höllenspinne durch die Decken und Wände der Räume zogen, bereit, ihn mit ihren gierigen Armen zu umfangen, sobald er auch nur einen Fuß über die Schwelle setzte.
    Es war so absurd, dass Andion am liebsten über sich selbst hätte lachen mögen, wenn seine raue Kehle denn noch zum Lachen in der Lage gewesen wäre, und wenn die Irrationalität seiner Empfindungen ihn nicht so sehr geängstigt hätte. Denn natürlich gab es keine Monsterspinne, die heimlich ihre feurigen Netze sponn und mit teuflischer Hinterlist dafür sorgte, dass die Temperatur im Inneren der Klassenräume sogar ein Krematorium vor Neid hätte erblassen lassen; es gab lediglich das Eisen. Wasser- und Heizungsrohre, Verstärkungsstreben, Treppengeländer und Türklinken, Wasserhähne, Schrauben und Nägel – ein Universum aus Stahl und Metall, ein Ozean aus schroffen, scharfkantigen Graten und Brocken kochender Schwärze, die um ihn herumwirbelten, sich in ihn hineinbrannten, ihn in Grauen und Schmerz ertränkten.
    Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er sich einzureden versucht, seine heftige körperliche und emotionale Reaktion auf Eisen in seinen verschiedenartigsten Gestalten sei nichts weiter als eine zwar seltene, aber mit dem entsprechenden medizinischen Hintergrundwissen letztlich doch verstehbare Form von Allergie, ähnlich vielleicht wie Asthma oder Heuschnupfen oder irgendeine Nahrungsmittelunverträglichkeit, aber nicht einmal diese Illusion war ihm nach dem Gespräch mit dem Arzt, in das er so große Hoffnungen gesetzt hatte, noch geblieben.
    Als er dem Mann damals seine Probleme geschildert hatte, hatte der ihn angesehen, als könne er sich nicht recht entscheiden, ob er ihn auslachen oder auf der Stelle in die nächste geschlossene Anstalt einweisen sollte. Stundenlang hatte der Kerl versucht, ihm seine Gefühle auszureden, hatte sie so hinbiegen wollen, dass sie in das Schema psychiatrischer Störungen passten, das er im Kopf hatte, doch als Andion nicht von seiner Haltung abgewichen war, hatte der Arzt ihn erbost nach Hause geschickt und ihm mit durchaus deutlichen Worten zu verstehen gegeben, dass er erst wiederkommen solle, wenn er ernsthaft bereit sei, an seinen Problemen zu arbeiten.
    Das war das erste und zugleich das letzte Mal gewesen, dass Andion einem anderen Menschen einen Blick in die bizarren Abgründe seiner Seele gewährt und es gewagt hatte, ihm seine quälendsten Gedanken und Befürchtungen anzuvertrauen.
    Bekümmert ließ er den Kopf hängen. Vielleicht wäre es tatsächlich das Beste für alle gewesen, man hätte ihn schon vor Jahren in irgendeine Zelle gesperrt und den Schlüssel zu seinem Verlies auf dem tiefsten Grund des Ozeans versenkt. Niemand würde ihn vermissen, wenn er plötzlich nicht mehr da wäre, und selbst seine Mutter würde vermutlich nicht allzu viele Tränen um ihn vergießen – was kein Wunder war, wenn man seine Herkunft bedachte.
    Ein eisiger Schauer kroch Andion den Rücken hinauf und ließ ihn trotz der sommerlichen Wärme frösteln. Er hatte seinen Vater niemals kennengelernt, und doch gab es keinen Tag in seinem Leben, der nicht vom düsteren Schatten seiner unheilvollen Präsenz besudelt worden wäre, keinen Tag, an dem ihn nicht der Gedanke an die schaurigen Ereignisse quälte, die das blutige Präludium zu seiner Geburt gewesen waren. Wollte man Ians Erzählungen Glauben schenken – und es bestand leider nicht der geringste Anlass, ihnen nicht zu glauben -, war sein Vater nicht weniger als ein sadistischer, wahnsinniger Psychopath, ein Dämon aus der Hölle, der das Leben eines Menschen so beiläufig auslöschte wie eine gelangweilte Katze, die mit ihren Zähnen nach einer vorbeisummenden Fliege schnappt, und der erbarmungslos jeden hinwegfegte, der das Pech hatte, in seinen blutigen Weg zu geraten.
    Wie jedes Mal, wenn er an seinen Vater dachte, spürte
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