Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan
Autoren: Pavel und Ich
Vom Netzwerk:
aufzukeimen. Er
versuchte, sich zu bewegen, und fühlte sich unerträglich schwer. Ein Stapel
Decken drückte auf seinen Körper. Er musste einen Arm und eine Hand freikämpfen
und grub die Nägel in die Handfläche, um zu prüfen, ob noch Gefühl in ihr war.
Bedächtig, behutsam streckte er die Hand nach dem Teller aus. Er wollte wissen,
ob sie noch warm waren, diese Nieren, die man ihm im Schlaf aus dem Leib geholt
hatte. Frostkalt waren sie, Eiskristalle bedeckten die dünne Haut. Der
Rosmarin blieb an seinen verschwitzten Fingern kleben. Er hielt ihn sich an die
Nase, roch durch ihn hindurch den scharfen Nierengeruch. Da endlich brach das
Lachen befreit aus seiner Brust, und er begann, gegen das bleierne Gewicht der
Decken zu treten und zu schlagen.
    Er schlug
um sich, bis der Junge kam und ihn anschrie. Der Teller aus Meissener Porzellan
lag zerbrochen am Boden, die Decken waren voller Blut. »Fleisch«, schrie der
Junge immer wieder, und schließlich, endlich, gab Pavel nach. Er schlief
wieder ein, dachte, dass es nicht mehr wichtig war, ohne Nieren, dachte, ich hätte meine Bücher verkaufen sollen, dachte, jetzt bin ich tot, weil ich zu stolz war, sie zu verkaufen, versuchte,
sich zu beweinen, schlief aber bereits wieder, bevor noch irgendwelche Tränen
kamen, schlief unter einem Berg von Nieren, wand sich.
     
    Anders wurde von Pavels Lachen
geweckt, sah, wie er um sich trat und schlug. Ein Arm traf die Anrichte. Der
Teller, den Anders dort hingestellt hatte, damit er seinem kranken Freund die
Laune hob, fiel herunter, zerbrach in zwei Teile, und das Fleisch prallte hart
wie ein Stein vom Boden ab. Der Junge sprang auf Pavel und hielt ihn fest.
Wunderte sich, wie schwach er war, ein ausgewachsener Mann, Hände und Backen
vom Fleisch verschmiert. Es dauerte nicht lange, ihn zu beruhigen. Wie ein
Kleinkind schlief Pavel wieder ein und nahm nicht wahr, wie Anders die Decken neu
über ihn breitete und ihm das Gesicht mit einem angefeuchteten Handtuch
säuberte. Er sammelte das Essen vom Boden auf und probierte, ob es wieder Strom
gab. Das tat es, und Anders schmolz ein Stück Schmalz in Pavels gusseiserner
Pfanne und briet geduldig die beiden Stücke Fleisch. Da sie gefroren waren,
dauerte es eine Weile, und am Ende waren sie außen verbrannt und innen noch
blutig. Anders schnitt sie mit dem Taschenmesser in mundgerechte Stücke,
schüttete sie in ein altes Kochgeschirr und trug sie zurück ins Krankenzimmer.
Die Bitten des Jungen weckten Pavel auf, aber er konnte ihn nicht dazu bringen,
das Fleisch zu kauen. Pavel lag einfach nur da, ein Stück zwischen den Lippen,
und saugte an der Wärme. Am Ende aß Anders den Großteil der Nieren allein und
dachte, dass er schon lange kein so gutes Fleisch mehr gegessen hatte. Pavel
schlief längst wieder. Nach dem Essen saß Anders beim Licht einer Kerze und sah
zu, wie sein Freund starb.
    Anders
wehrte sich endlos lange dagegen. Er setzte sich auf einen Hocker neben das
Bett, umfasste seine Knie und kämpfte den Drang tapfer nieder. Wann immer sich
seine Hände zu finden drohten oder er feststellte, dass seine Augen nach einem
Handtuch oder Schal suchten, sprang er auf und lief stattdessen im Zimmer auf
und ab. Die Tränen saßen ihm in der Kehle, er schluckte sie, ließ sie nicht
raus. Als er schließlich doch aufgab und sich eine Mütze aufsetzte, so wie er
es bei Pavel gesehen hatte, tat er es voller Bitternis. Das Holz war hart unter
seinen Knien, und es hatte etwas Lächerliches, wie er das Geschirrtuch hinter
seinen Schultern spannte. Anders betete.
    »Gott«,
betete er. »Du bist so gemein.«
    »Gemein,
hörst du? Was ist das für ein Gott, der einen solchen Mann tötet?«
    »Gott«,
betete er, »wenn er überlebt, werde ich an dich glauben.«
    »Wenn er stirbt«, betete er,
»werde ich dich verfluchen.«
    »Verfluchen, hörst du?«
    »Mein Name
ist Anders«, fügte er hinzu, »und das hier ist Pavel«, damit es ja zu keiner
Verwechslung kam.
    Dann hörte
er auf zu beten, er wusste nicht, was er noch hätte sagen sollen, und die
Trauer erfasste ihn wie ein tollwütiger Hund. Er schluchzte und legte eine
Wange auf den eisigen Boden. Die Kälte nahm ihm buchstäblich den Atem, und
einen Moment lang versuchte er, Körper und Blut zum Stillstand zu bringen, um
besser hören zu können. Ihm war, als hätte er genau in dem Augenblick, da sein
Ohr das Holz berührte, gehört, wie über ihm ein Klavier ein Lied anstimmte.
Eine ganze Minute wagte er nicht, sich zu bewegen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher