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VT02 - Der gierige Schlund

VT02 - Der gierige Schlund

Titel: VT02 - Der gierige Schlund
Autoren: Michael M. Thurner
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Lungen.
    Dann der unerklärliche Absturz hier herab, in dieses Loch. Die Gruh und sie waren von einem Wasserschwall erfasst und auf glitschigem Boden hinabgespült worden. Das Wasser war nach und nach versickert und hatte sie in schwerem Schlamm zurückgelassen, der eine Rückkehr nach oben nicht zuließ. Ein menschenähnliches Wesen hatte auf sie herab uriniert und sie mit unflätigen Flüchen bedacht. Was es damit bezweckte, blieb im Unklaren.
    Lourdes schrie Zorn und Angst hinaus in diese unbekannte Welt. Noch vor wenigen Tagen hatte sie in der Heimatstadt ein sorgenloses Leben über den Wolken geführt. Ihr verfluchter Lakai, Chérie, hatte sie zu einem Ausflug in dieses schreckliche Provinznest namens Kilmalie gezwungen. Er war von den Gruh zerrissen worden, und das geschah ihm ganz recht.
    Die Gruh waren schreckliche Wesen, mehr Tier als Mensch. Besser gesagt: noch weniger als ein Tier. Sinn- und verstandesentrückte Geschöpfe mit unglaublichen Kräften, die scheinbar einem Befehl gehorchten und aus innerem Antrieb ein nicht erkennbares Ziel verfolgten.
    Lourdes brüllte noch einmal. Sie wünschte sich ein Bad, eine dringende Körperpflege, ein paar Sklaven, die sie nach Lust und Laune auspeitschen konnte, einen Geschichtenerzähler, der sie all das vergessen machte, und schließlich einen Mann, der sie ausreichend befriedigte.
    Lebte Kinga noch? Dieser süße, naive Dorfpoomeranz hatte ihr schöne Stunden bereitet. Er besaß zwar nicht die Klasse der kaiserlichen Springböcke, doch seine jugendliche Unbeschwertheit und Unverdorbenheit waren ihr willkommene Abwechslung gewesen.
    Lourdes kehrte mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. Seltsam, dass sie noch nicht den Verstand verloren hatte. Trotz all der Qualen, denen sie ausgesetzt gewesen war, glaubte sie an eine Rettung. Es konnte und durfte nicht sein, dass die Truppen ihres Vaters sie im Stich ließen. Die Männer würden kommen, sie befreien und es ihr überlassen, was mit den Entführern zu geschehen hatte.
    Nun – sie hatte während der letzten Stunden ein paar nette kleine Ideen gesammelt. Der Gedanke daran gab ihr neue Kraft.
    Die beiden überlebenden Gruh ließen sie weitgehend in Ruhe. Nur ab und zu trafen sie begehrliche Blicke, die wohl mit Hunger zu tun hatten. Sie haben mir bislang nichts getan, also werden sie mich auch jetzt in Ruhe lassen, sagte sie sich. Sie wollen mich unbedingt lebend an ein bestimmtes Ziel bringen. Bis sie es erreicht haben, habe ich nichts zu befürchten.
    Und danach?
    Nun – so weit wollte sie nicht voraus denken. In ihrer Situation musste sie für jeden Moment, den sie lebte, dankbar sein.
    Der eine Gruh unternahm einen weiteren Versuch, aus der Grube zu entkommen. Vielleicht zum hundertsten Mal streckte er sich nach oben, griff in den Schlamm, zog seinen dürren Körper hoch, trat mit den Beinen so rasch wie möglich nach. Einen Meter oder zwei schaffte er auf diese Weise, um schließlich doch wieder zurückzustürzen. Sein Klauen zeigten abgebrochene Fingernägel und -glieder. Weiße Knochen standen hervor. Blutleeres Fleisch hing in Fetzen herab.
    Er kannte keinen Schmerz. Kannte kein Ende. Würde niemals aufgeben, würde es weiter versuchen, aus der Grube zu gelangen. Bis sein Herz, so er denn eines hatte, versagte.
    Ein Schrei ertönte. Grell und voll Schmerz.
    Was geschah da? Waren die Hilfskräfte, die sie befreien würden, bereits bis hierher vorgedrungen? Suchten Soldaten des Kaisers nach ihr?
    »Hier bin ich!«, rief Lourdes kurz entschlossen. »Hier unten! Holt mich gefälligst aus diesem Loch!«
    Alles blieb ruhig.
    Zu ruhig.
    Ein Ruck ging durch die Höhle, brachte große Mengen schweren Schlamms mit sich, der sich über sie ergoss.
    Lourdes strampelte sich von dem einen Gruh los, der bislang teilnahmslos dagesessen hatte. Nun wollte er sich an sie klammern, sich mit ihrer Hilfe aus der Schlammlawine befreien, die sie alle zu ersticken drohte. Lourdes trat um sich. Sie spürte das Gesicht des Gruh unter ihren Beinen. Seine kalten Hände tasteten nach ihren Unterschenkeln. Irgendwie konnte sie ausweichen, ausreichend Distanz zwischen das Monster und sich bekommen, während ein weiterer Schwall feuchten Morasts herabströmte.
    »Hilfe!«, schrie sie erstickt. »Hilfe!«
    Lourdes wischte sich über das Gesicht. Ein hastiger Atemzug brachte sie zum Husten, ließ sie Schlamm und trübes Wasser schlucken.
    Schon steckte sie bis zu den Hüften fest, konnte sich nur noch mühsam bewegen. In den Wänden
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