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Voyeur

Titel: Voyeur
Autoren: Simon Beckett
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war unerträglich. Nun traf mich die volle Wucht meiner Enttäuschung.
     Als ich nach Hause fuhr, stellte ich mir die |36| beiden zusammen vor. Erst in einem Restaurant. Dann, später, zu Hause. Und zuletzt – wie sie nackt beieinanderlagen. Die
     Bilder waren so lebendig, als würde ich zuschauen, was dieses Mal aber unangenehm war. Plötzlich sah ich vor mir, wie er
     auf ihr lag, und verdrängte dieses Bild schnell wieder. Es war sinnlos, mich zu quälen. So unwürdig Marty auch war, Anna
     hatte sich schließlich für ihn entschieden. Ich konnte nichts dagegen tun.
    Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich ihr immerhin nähergekommen war als jemals zuvor. Jetzt, wo das Eis gebrochen
     war und ich sie in Gesellschaft erlebt hatte, konnte ich auf etwas aufbauen. Das war nicht viel, aber es war alles, was
     ich hatte. Ich würde mich damit zufriedengeben müssen.
    Erst als mir selbst dieser schwache Trost genommen werden sollte, fühlte ich mich zum Handeln gezwungen.
     
    *
     
    Ich fand es zufällig heraus. Es war kurz nach der Ausstellung. Ich war oben im Büro und Anna unten in der Galerie. Ich hatte
     nicht gewusst, dass sie gerade telefoniert, bis ich den Hörer des Büroanschlusses abnahm.
    Es war nicht meine Absicht gewesen, sie zu belauschen. Doch es war verlockend, ihr zuhören zu können, ohne dass sie es
     wusste. Und nachdem ich gezögert hatte, blieb mir keine andere Wahl mehr. Als ich den Hörer abgenommen hatte, hatte sie
     das Klicken nicht bemerkt; wenn sie aber hörte, wie ich wieder auflegte, würde sie wissen, dass ich am anderen Ende gewesen
     war. Ich musste also zuhören.
    |37| Zuerst war mir nicht klar, worum sich das Gespräch drehte. Dann sagte Anna: «Ich weiß, dass es ein großer Schritt ist,
     aber ich will gehen», und da wurde ich noch hellhöriger. Das Wort «gehen» schien mit furchtbaren Bedeutungen beladen zu sein.
    «Solange du dir sicher bist, ist ja alles in Ordnung», sagte die Person am anderen Ende, eine junge Frau. «Aber hast du
     dir schon mal überlegt, was passiert, wenn es nicht funktioniert? Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber so lange
     kennt ihr beide euch noch nicht, oder?»
    «Ach, fang nicht damit an, Debbie. Das habe ich schon alles von meinen Eltern gehört. Du kennst doch meine Mutter.»
    «Ja, aber in diesem Fall kann ich sie verstehen. Ich meine, ich mag Marty wirklich, aber es ist trotzdem ein unglaubliches
     Risiko, oder?»
    «Das ist mir klar, aber ich muss es in Kauf nehmen. Es ist ja nicht so, dass ich es auf die leichte Schulter nehme. Manchmal
     habe ich Angst, wenn ich daran denke, aber ich kann doch nicht einfach hierbleiben und ihn allein gehen lassen, oder?»
    «Könntest du nicht später nachkommen?»
    «Und was bringt das? Wenn ich schon gehe, dann kann ich auch gleich mit ihm gehen. Sollen wir erst so lange getrennt sein,
     bis ich mir sicher bin, das Richtige zu tun? Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden, oder?»
    Die andere Frau seufzte. «Ich weiß. Und ich würde wahrscheinlich genau das Gleiche tun, wenn ich du wäre. Ich bin einfach
     nur neidisch, dass nicht ich nach Amerika entführt werde.»
    Das Zimmer begann sich zu drehen. Ich versuchte mir zu |38| sagen, dass sie vielleicht nur darüber redeten, dass Anna in Urlaub fuhr, aber dann wurde mir selbst dieser Strohhalm entrissen.
    «Hast du schon mit deinem Chef gesprochen?», fragte die Frau.
    Annas Stimme wurde leiser. «Nein, noch nicht. Es soll ja erst in ein paar Monaten losgehen, da habe ich noch genug Zeit,
     um es ihm zu sagen. Wir werden so viel Geld brauchen, wie wir kriegen können, bis ich dort drüben einen Job finde, und
     ich will nicht, dass er mich rausschmeißt. Ich glaube kaum, dass er sauer wäre, aber ich will es nicht riskieren.»
    Ich schloss die Augen. Ich wünschte, ich hätte den Hörer nicht abgenommen. Anna wollte weg. Wollte mit diesem erbärmlichen
     Gnom von einem Mann nach Amerika. Nicht genug, dass er sie nicht verdient hatte, jetzt wollte er sie mir auch noch wegnehmen.
     Und sie traute sich nicht einmal, es mir zu sagen. Den Rest des Gespräches nahm ich kaum noch wahr. Ich war gerade noch geistesgegenwärtig
     genug, um den Hörer aufzulegen, als es endete.
    Während ich dasaß und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, kam bereits ein Verlustgefühl in mir auf. Und eine anschwellende
     Wut. Das war alles Martys Schuld. Anna würde mit ihm nach Amerika gehen, und ich würde sie nie wiedersehen. Ich konnte nichts
    
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