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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition)
Autoren: P. D. James
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Sessel zu knisternden Zeugen jenes grausamen Märtyrertodes, und er roch trotz des dichten, beißenden Rauchs den gräßlichen Gestank brennenden Fleisches.
    Er begann an Alice Mairs Körper zu zerren, aber er war eingeklemmt, und der brennende Tisch lag mit der Kante quer über ihren Beinen. Irgendwie mußte er ein paar Sekunden Zeit gewinnen. Hustend stolperte er durch den Qualm zum Spülstein, drehte beide Hähne voll auf, griff sich eine Pfanne, füllte sie und goß immer wieder Wasser auf die Flammen. Ein kleiner Teil des Feuers zischte und begann zu erlöschen. Mit dem Fuß trat er die brennenden Trümmer beiseite, hievte sich die Bewußtlose über die Schulter und wankte zur Tür. Aber die Riegel, fast schon zu heiß zum Anfassen, klemmten. Er mußte versuchen, Alice durch das zerschlagene Fenster hinauszuschaffen. Keuchend vor Anstrengung, stemmte er ihren bleischweren Körper vorwärts über den Spülstein. Doch ihre Glieder verfingen sich in den Wasserhähnen, und es dauerte Ewigkeiten, bis er sie befreit hatte, zum Fenster hinaufschieben konnte und endlich sah, wie sie vornüberkippte und draußen verschwand. In tiefen Zügen sog er die frische Luft ein, packte den Rand des Spülsteins und versuchte sich hochzustemmen. Auf einmal jedoch hatte er keine Kraft mehr in den Beinen. Er fühlte, wie sie unter ihm nachgaben, und mußte beide Arme auf den Spülsteinrand legen, um nicht in das immer höher lodernde Feuer zurückzustürzen. Bis zu diesem Augenblick hatte er den Schmerz nicht wahrgenommen, nun aber riß und zerrte er ihn an Beinen und Rücken, als werde er von einem Rudel Wildhunde angefallen. Da er den Kopf nicht bis zu den laufenden Hähnen vorzurecken vermochte, versuchte er sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht zu werfen, als könne diese gesegnete Kühle die Qual in seinen Beinen lindern. Auf einmal wurde er von dem fast unwiderstehlichen Wunsch überfallen, ganz einfach loszulassen und ins Feuer zurückzusinken, anstatt einen schier unmöglichen Fluchtversuch zu wagen. Doch das dauerte nur eine Sekunde, verlieh ihm letztlich sogar die Kraft zu einem letzten, verzweifelten Ausbruchsversuch. Er packte die Hähne, jeden mit einer Hand, und zog sich langsam, qualvoll über den Spülstein. Diesmal fanden seine Knie Halt auf der harten Kante, und er vermochte sich gegen das Fenster zu werfen. Rauch wogte um ihn herum, und hinter ihm tobten die riesigen Feuerzungen. Ihr Brüllen wurde so stark, daß seine Ohren schmerzten. Die ganze Landzunge schien davon erfüllt, so daß er nicht mehr unterscheiden konnte, ob er das Feuer, den Wind oder das Meer hörte. Dann sammelte er Kraft für einen letzten Versuch, spürte, wie er auf ihren weichen Körper fiel, und rollte sich von ihr herab. Sie brannte nicht mehr. Nachdem ihre Kleider verbrannt waren, hingen nur noch verkohlte Lumpen an dem, was von ihrem Fleisch übrig war. Er schaffte es, hochzukommen, und strebte halb stolpernd, halb kriechend zum Außenhahn. Aber er hatte ihn kaum erreicht, da verlor er das Bewußtsein, und das letzte, was er hörte, war das Zischen des Wassers, das seine brennenden Kleider löschte.
    Eine Minute später öffnete er die Augen. Die Steine drückten gegen seinen verbrannten Rücken, und als er sich bewegen wollte, schrie er laut auf, so furchtbar schmerzte es. Noch niemals hatte er eine solche Qual erlitten. Als sich jedoch ein Antlitz, bleich wie der Mond, über ihn beugte, erkannte er Meg Dennison. Er dachte an dieses verkohlte Ding unter dem Fenster und stieß mühsam hervor: »Nicht hinsehen! Nicht hinsehen!«
    Meg aber gab sehr leise zurück: »Sie ist tot. Und es ist schon gut, ich mußte hinsehen.«
    Dann, auf einmal, erkannte er sie nicht mehr. Sein verwirrter Verstand befand sich an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Und plötzlich hörte er inmitten der zahllosen, neugierigen Zuschauer und der Soldaten, die mit ihren Piken den Scheiterhaufen bewachten, Rikkards sagen: »Aber sie ist kein Ding, Mr. Dalgliesh. Sie ist eine Frau.« Er schloß die Augen. Megs Arme umfingen ihn. Er wandte den Kopf und preßte das Gesicht in ihre Jacke, biß in die Wolle, damit er sich nicht schämen mußte, weil er so laut stöhnte. Dann spürte er ihre kühlen Hände auf seinem Gesicht.
    »Der Krankenwagen wird gleich hiersein«, sagte sie ruhig.
    »Ich höre schon die Sirene. Ganz still liegenbleiben, mein Lieber. Es wird alles gut werden.«
    Das letzte, was er hörte, bevor er sich in die Bewußtlosigkeit hineingleiten
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