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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche
Autoren: Alan Bradley
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wieder vergaß.
    Hatte Kekulé nicht auch mit Druckfarben zu tun gehabt? War nicht sein Freund Hugo Müller bei De La Rue angestellt gewesen, der Firma, die die britischen Briefmarken herstellte?
    Ich legte das Buch weg. Meinem Gefühlswirrwarr wollte ich mich später widmen – wenn ich allein war.
    »Das hier ist von mir«, verkündete Feely. »Das sollst du als Nächstes aufmachen. Aber pass auf, dass es nicht kaputtgeht.«
    Vorsichtig schälte ich den flachen, rechteckigen Gegenstand aus dem Papier. Schon als ich das Geschenk in die Hand nahm, war mir klar, dass es sich um eine Schallplatte handelte.
    Tatsächlich – es war die Toccata von Pietro Domenico Paradisi, aus seiner Sonate in A-Dur, gespielt von der grandiosen Eileen Joyce.
    Für mich war diese Toccata das großartigste Musikstück, das komponiert worden war, seit Adam und Eva im Garten Eden kampiert hatten, eine Melodie, die sprudelte und tanzte wie die fröhlichen Atome von Natrium und Magnesium, wenn sie in ein Becherglas mit Salzsäure tröpfelten.
    Feely spielte die Paradisi-Toccata manchmal, wenn ich sie darum bat, aber nur, wenn sie nicht sauer auf mich war, weshalb ich das Stück noch nicht oft zu hören bekommen hatte.
    »D-Danke, Feely«, brachte ich mühsam heraus. Feely freute sich sichtlich.
    »Jetzt meins!«, sagte Daffy. »Es ist nichts Besonderes, aber mehr hast du nicht verdient.«
    Wieder ein dünnes flaches Päckchen, mit einem Bändchen drum und einem Anhänger dran: Für F. von D.
    Es war ein Stahlstich, der auf ein Stück Pappe geklebt war, die Abbildung eines Alchimisten bei der Arbeit, zwischen Glasschalen und bauchigen Flaschen, Bechergläsern und Destillierkolben.
    »Hab ich bei den Fosters aus einem Buch ausgeschnitten«, kommentierte Daffy. »Das merken die sowieso nicht. Die einzigen Bücher, die sie dort aufschlagen, sind die aus der Badminton-Bibliothek: Falknerei, Angeln, Jagen und so weiter.«
    »Der Stich ist schön«, sagte ich. »Wunderschön. Ich frage Dogger, ob er ihn mir einrahmt.«
    »Wenn rauskommt, dass es jemand geklaut hat«, fuhr Daffy fort, »sag ich einfach, dass du es warst. Was kann ich schon mit einem ollen, verstunkenen Alchimisten anfangen?«
    Ich streckte ihr die Zunge raus.
    Als Nächstes war Mrs Mullets Päckchen dran.
    Fäustlinge.
    »Sie hat gesagt, die brauchst du für deine erfrorenen Finger.«
    »Sind meine Finger denn erfroren?« Ich streckte die Hände aus. »Sie kribbeln ein bisschen, aber sie sehen aus wie immer.«
    »Nur Geduld«, meinte Feely. »Nach vierundzwanzig Stunden werden sie schwarz und fallen ab. Dann musst du dir Haken anpassen lassen, stimmt’s, Daff? Fünf kleine Haken an jeder Hand. Dr. Darby meint, du kannst von Glück sagen, dass die Prothesenherstellung in den letzten paar Jahren gewaltige Fortschritte gemacht hat. Bestimmt kannst du schon bald wieder …«
    »Hör auf!«, kreischte ich. Meine Hände zitterten.
    Meine Schwestern wechselten einen Blick, dessen Bedeutung ich eigentlich kannte, an die ich mich gerade eben aber ums Verrecken nicht mehr erinnern konnte.
    »Wir lassen sie jetzt lieber allein«, sagte Daffy. »Wenn sie so ist, ist sie ungenießbar.«
    An der Tür drehten sich die beiden noch einmal um, als wären sie an der Hüfte zusammengewachsen.
    »Frohe Weihnachten«, sagten sie wie aus einem Mund, dann waren sie draußen.
     
    Ich lag lange einfach nur da und starrte an die Decke.
    War das mein Leben? Würde es immer so weitergehen, im jähen Wechsel von Sonnenschein zu Finsternis? Von Hexenkessel zu Einsamkeit? Von erbittertem Zorn zu noch erbitterterer Liebe?
    Nein, das konnte nicht alles sein, da war ich mir ganz sicher. Da war noch etwas – aber was?
    Ich ließ die Beine vom Sofa auf den Boden gleiten und setzte mich auf. Winzige Feuerwerkskörper explodierten hinter meinen Augenlidern, was nicht ausbleibt, wenn man zu viele Tage im Liegen verbringt. Ich kam ziemlich wacklig auf die Beine und musste mich an der Sofalehne aufstützen.
    Also blieb ich kurz stehen und wartete, bis das Schwindelgefühl nachließ, dann zog ich den Morgenmantel enger um mich und schlurfte zur Tür. Wenn jemand mitkriegte, dass ich durchs Haus geisterte, setzte es eine Strafpredigt.
    Aber die Flure waren menschenleer. Alle Dorfbewohner und Filmleute waren fort.
    In der Eingangshalle herrschte die gewohnte dunkel getäfelte Stille. Buckshaw war wieder in den Normalzustand zurückgekehrt.
    Von oben fiel ein einzelner Sonnenstrahl auf die schwarz-weißen
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