Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
gutem Zureden wieder von der Decke heruntergelockt haben. Ja, man konnte die Raketen bis nach Hinley sehen. Trotz des Schneesturms.«
     
    »Trotz des Schneesturms«, sagte Vater mit einem, falls ich mich nicht verhörte, gewissen Stolz in der Stimme. »Eine Freundin von Mrs Mullet hat berichtet, sie habe sogar von East Finching aus in südlicher Richtung einen rötlichen Schein am Himmel gesehen, und jemand hat Max Brock erzählt, dass die Detonationen bis nach Malden Fenwick zu hören waren. Der Schnee ließ zwar schon allmählich nach, aber trotzdem … Ich finde es doch ungewöhnlich. Natürlich kommt ein Blitzschlag während eines Schneesturms schon mal vor, wenn auch sehr selten. Ich habe meinen alten Freund Taffy Codling angerufen, der zufällig als Meteorologe auf dem Fliegerhorst Leathcote arbeitet. Taffy meinte, dass ein solches Phänomen tatsächlich in den frühen Morgenstunden des Weihnachtstages protokolliert wurde, etwa um die Zeit, als sich dein, also  … äh … als sich Flavias … äh … Missgeschick ereignet hat.«
    Ich hatte Vater nicht mehr so viele zusammenhängende Worte zu mir sprechen hören, seit er sich mir anlässlich des Mordes an Horace Bonepenny anvertraut hatte. Allein die Tatsache, dass er das Telefon benutzt hatte, um sich über den Blitz zu informieren! Geriet die Welt denn jetzt völlig aus den Fugen?
    Ich ruhte schön gewaschen und gekämmt auf dem Diwan im Salon wie eine jener Heldinnen aus dem 19. Jahrhundert, die in Daffys Romanen immer an Schwindsucht sterben.
    Alle standen im Kreis um mich herum, wie bei dem Quartettspiel »Glückliche Familie«, das wir einmal, als es drei Wochen am Stück regnete, aus dem Schrank geholt und mit verbissener Fröhlichkeit Runde um Runde am Esstisch gespielt hatten.
    »Wenn ein Blitz dein Feuerwerk ausgelöst hat, kann man dich ja wohl kaum dafür verantwortlich machen, oder?«, meinte Daffy. »Obwohl jetzt ein ziemlich großes Loch im Dach klafft. Dogger hat die Eimerbrigade der Dorfbewohner organisieren müssen. Das war vielleicht ein Anblick! Saukomisch. Schade, dass du das verpasst hast!«
    »Daphne!«, sagte Vater und warf ihr einen dieser Blicke zu, die er sich für grenzwertige Ausdrücke reservierte.
    »Stimmt doch! Du hättest uns sehen sollen, wie wir alle bis zum Hintern im Schnee standen und vor Staunen die Mäuler aufsperrten wie eine Horde Weihnachtssänger mit Mumps!«
    »Daphne …«
    Der Vikar biss die Zähne zusammen, um ein ebenso engelhaftes wie dümmliches Grinsen zu unterdrücken. Aber ehe Daffy in weitere sprachliche Fettnäpfchen treten konnte, klopfte es, und jemand streckte die Nase ins Zimmer.
    »Darf ich reinkommen?«
    »Nialla!«, rief ich aus.
    »Wir möchten uns bloß verabschieden«, flüsterte sie theatralisch und schob sich ganz zur Tür herein. In den Armen hielt sie ein dick eingewickeltes Bündel. »Die Filmleute sind schon weg. Desmond und ich sind die Letzten. Er wollte mich in seinem Bentley heimfahren, aber der Motor scheint eingefroren zu sein. Dr. Darby fährt zufällig nach London, wo er sich mit alten Freunden zum Essen trifft, und hat mir angeboten, das Baby und mich bis vor unsere Haustür zu bringen.«
    »Ist das nicht viel zu früh?«, fragte Feely, die damit zum ersten Mal den Mund aufmachte. »Können Sie nicht noch eine Weile hierbleiben? Bei dem ganzen Trubel konnte ich das Baby noch gar nicht richtig anschauen.«
    Dabei sah sie mit einem bösen Blick in meine Richtung.
    »Das ist wirklich sehr lieb.« Nialla schaute in die Runde. »Es war schön, Sie alle wiederzusehen, und Dieter auch, aber Bun hat mir jemanden empfohlen, der an einer Neuverfilmung der Weihnachtsgeschichte von Dickens arbeitet. Sieh mich nicht so streng an, Daphne – es ist immerhin Arbeit und hält uns fürs Erste über Wasser. Bis die richtigen Angebote kommen.«
    Vater scharrte verlegen mit den Füßen. »Ich habe Miss Gilfoyle auch schon gesagt, dass sie gern so lange hierbleiben kann, wie sie möchte, aber …«
    »… aber Miss Gilfoyle muss jetzt los«, beendete Nialla den Satz fröhlich, strahlte das Kind in ihren Armen an und wischte ihm ein unsichtbares Etwas vom Kinn.
    »Der Kleine sieht ein bisschen wie Rex Harrison aus«, sagte ich. »Vor allem die Stirn.«
    Nialla errötete ganz entzückend und schaute den Vikar an, als suchte sie bei ihm Unterstützung.
    »Ich hoffe bloß, dass er den Verstand seines Vaters geerbt hat«, sagte sie, »und nicht meinen.«
    Es entstand eines jener langen peinlichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher