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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition)
Autoren: Jesmyn Ward
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halten wie Skeet, als China sie geboren hat, den Welpen seine feuchte Schnauze in meinem T-Shirt vergraben lassen. Stattdessen bleibe ich an der Tür stehen und schaue zu, wie Skeet den Teller vor sie auf den Boden stellt.
    »Der weiße ist fast so groß wie der rotbraune.«
    China beschließt, mich nicht zu beachten, schiebt die Nase über den Teller, leckt ein bisschen Ei auf. Sie hinterlässt ein schleimiges Netz aus Spucke.
    »Willst du mal sehen?«, sagt Skeetah. Er bückt sich und nimmt den roten Welpen von Chinas Zitzen weg, und Milch tropft auf ihren Bauch. Alle acht Zitzen sind so stark geschwollen von der Milch, dass sie wie menschliche Brüste aussehen. Ich hole tief Luft und schlucke an dem Kloß in meiner Kehle vorbei. Der Kloß schmilzt und brennt wie Feuer. Ich renne nach draußen, hocke mich hin, stütze mich mit den Knien ab und übergebe mich auf den roten Sand; mein Haar fällt nach vorne wie eine schwarze Wolke. Ich spüre, dass Skeetah mich beobachtet. Als er mit seiner welpenfreien Hand meinen Rücken berührt, weiß ich, dass er China genauso anfasst.
    Daddy ergrinst sich ein Bier von Big Henry, der an der Tankstelle auf der Interstate Bier kaufen kann, weil er so groß und stattlich ist und sein Gesicht so kantig und ernst, dass er aussieht, als sei er über einundzwanzig. Er muss nie einen Ausweis vorzeigen, obwohl er erst achtzehn ist.
    »Ein großer Junge wie du, klar weißt du über so was Bescheid.«
    Daddy beugt sich vor zu Big Henrys massigem Körper, sodass dessen Schatten ihn einhüllt, und sieht aus, als wisse er nicht, ob er ihn pieken oder boxen soll.
    »Die Frauen mögen gern was zum Festhalten.«
    Daddy stößt ihm einen Ellbogen in die Rippen; er hält den Kopf gesenkt und grinst. Das ist seine Art, einen Witz zu erzählen.
    »Hat mich zu meiner Zeit ein paar Frauen gekostet, dass an mir nix dran is.«
    Daddy reibt sich mit der Hand über den Bauch, der, wie ich weiß, unter dem Hemd flach ist, schlank und dunkel, mit einer dünnen Schicht aus Haut und Fett, die wie ein leichtes T-Shirt auf seinen Muskeln liegt. Von dem ganzen Bier müsste er eigentlich einen Bauch wie eine Bowlingkugel haben, aber den hat er nicht.
    »Die haben immer gesagt: ›Claude, ich brauch ein bisschen mehr als dich. Ich brauch was Warmes. Keine harten knochigen Beine auf mir drauf in der Nacht.‹«
    Big Henry nickt, als stimme er zu. Reißt die Augen auf, als wäre Daddy interessant.
    »Sagten immer: ›Du weißt doch, was ein stattlicher Mann ist.‹«
    Big Henry reicht Daddy das Bier, an dem er genippt hatte, und lehnt sich auf die Haube von Daddys Pick-up. Die letzte der Flaschen von unter dem Haus wird vom Sonnenlicht getroffen; die Seife und das Wasser innen drinnen sehen aus wie Diamanten.
    »Was haben Sie’n heut alles gemacht, um klar zu sein für die Hurrikans, Mister Claude?«, fragt Big Henry. Er hält Ausschau nach Randall, nach Skeetah, und als er sie nirgends entdeckt, hält er sich an mich, resigniert, achselzuckend.
    Als wir klein waren, ließ Big Henry mich immer auf seinem Rücken reiten, an der tiefen Stelle der Grube, wo der Boden mit Austernschalen bedeckt war. Er hat mich immer getragen, damit ich mir die Füße nicht zerschneide, obwohl er selbst auch barfuß ging. Seine Füße bluteten nie. Seitdem hat er mich nicht mehr angefasst. Ich dachte, eines Tages würden wir Sex haben, aber auf die Art ist er nie auf mich zugekommen. Da die Jungs immer zumir kamen, habe ich nie versucht, mit ihm Sex zu haben. Er ist ständig bei uns, bewegt sich auf seine behäbige, vorsichtige Art. Er federt beim Gehen, schwingt auf Zehenspitzen von rechts nach links. Er schwenkt die Arme, als würde er durchs Wasser waten. Er hält seine Bierflasche mit drei Fingern.
    »Ich geh Hundefutter besorgen. Kommste mit?«
    Skeetah fragt mich das, als er ums Haus herum kommt; Big Henry sieht erleichtert aus. Skeetah stößt gegen den Schuppen, und China jault auf. Die Flaschen stehen still im Sand, aber das Wasser darin hört nicht auf zu glitzern und zu wackeln. Big Henry lässt seinen Wagen an, und wir fahren los.
    Meistens, wenn wir in den Lebensmittelladen in St. Catherine gehen, ist der Parkplatz etwa zur Hälfte mit Autos gefüllt. Jetzt ist er voll, und wir müssen zehn Minuten herumfahren, bis wir einen Platz kriegen. Die Hitze klopft ans Auto wie Leute beim Mardi-Gras-Umzug, die mitgenommen werden wollen. Sie dringt wie Glasperlen durch die Fensterritzen ein. Die Luft aus Big Henrys Klimaanlage
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