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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition)
Autoren: Jesmyn Ward
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Wasser lauwarm. Der August ist immer der Monat der größten Hitze, einer Hitze, die so tief in die Erde eindringt, dass sie das Wasser in den Brunnen zum Sieden bringt. Als ich ins Bett gehe, schläft Junior schon. Der Ventilatorkasten im Fenster summt. Ich liege auf dem Rücken, mir ist schwindelig, leicht übel. Ich habe heute nur einmal gegessen. Ich sehe Manny über mir, sein Gesicht, das meins leckt. Seinen heißen Schweiß, unsere Becken, die sich treffen. Wie er mich mit seinem Körper sieht. Wie er mich liebt wie Jason. Junior stößt einen Babyschnarcher aus, und ich döse ein, Mannys Atem im Sinn.

Der zweite Tag
    VERSTECKTE EIER
    D ER M ORGEN NACH EINER G EBURT sollte still sein; die Luft sollte alle Geräusche dämpfen. Aber die Stille kommt und geht hier auf dem Pit wie das Pack streunender Hunde, die Daddy immer mit seinem Gewehr verjagt hat, bevor Skeetah China zu uns brachte. Als Daddy noch Schweine hielt, quiekten die Säue ihre klebrigen Ferkel am Morgen an. Die Hühner brüteten die Küken in den versteckten Eiern aus und weckten uns mit ihrem Flügelschlagen und Gegacker. Und am ersten Lebenstag von Chinas Welpen war es nicht anders. Ich wachte auf und hörte ein Hämmern.
    Skeetah ist draußen und sieht sauber aus. Zumindest trägt er ein anderes T-Shirt, und sein Gesicht glänzt so, als hätte er es gerade geschrubbt. Er schlägt einen Nagel in ein Fünf-auf-zehn-Zentimeter-Kantholz, um es mit einem anderen Kantholz zu verbinden. Ich bin noch in meinem Schlaf-T-Shirt, und es ist so früh, dass man den Morgen kühl nennen könnte.
    »Was machst du da?«
    »Ich bau ’n Zwinger.« Skeetah haut mit Wucht einen Nagel ein. »In sechs Wochen brauchen sie den.«
    »Ist das nicht ein bisschen zu früh? Ein Zwinger?« Ich reibe mir die Augen. Ich habe Hunger, und mir ist klar, dass ich nicht noch mal einschlafen werde. Ich hätte aus dem Fenster brüllen sollen, dass er gefälligst mit dem Hämmern aufhören soll, und mir dann die Decke über den Kopf ziehen.
    »Sie werden überleben, und sie werden groß. Ich kann sie nich die ganze Zeit frei rumlaufen lassen. Sie könnten überfahren werden.« Er neigt den umgedrehten Eimer, auf dem er sitzt, nach vorne und schiebt den Hammer in sein Hosenbein. »Willst du sie sehen?«
    Ich nicke.
    Die glitschigen zuckenden Kugeln im Schuppen sind verschwunden. An ihrem Platz liegen neue, flauschig-flaumige Kugeln. Sie sehen fast wie Küken aus. Ihre Augen sind noch ganz zu, sind nur dünne schwarze Linien, die wie geschlossene Münder aussehen. Aber ihre Mäuler sind offen. Sie schnauben, schnüffeln, winseln und stoßen Piepser aus, die Gebell sein wollen. Sie rempeln sich an, stolpern und rollen übereinander, bis sie an Chinas Seite landen. Sie beobachtet mich. Skeetah macht den Vorhang zu.
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich fünf kriegen würde, Esch. Weil es doch das erste Mal für sie ist, dachte ich, ich kriege vielleicht zwei. Ich dachte, sie würde sie zertrampeln oder sie würden einfach tot rauskommen. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich so viele in Sicherheit bringen könnte.«
    Skeetah steht so nah vor mir, dass sich unsere Schultern kurz berühren. Er schaut mich nicht an, als er das sagt; er starrt auf den Boden. Das sind Sachen, die er zu niemandem sagt, nicht mal zu China. Manchmal vertraut er sich mir an; ich höre immer zu.
    »Du weißt doch, wie diese Väter im Fernsehen erzählen, was für ein Wunder es ist, bei einer Geburt zuzugucken? Bei den ganzen Schweinen und Schafen und Kaninchen, denen ich schon beim Gebären zugesehn hab, hab ich mich nie so gefühlt. Diese Welpen hier sind
echt
«, sagte er.
    »Willst du was essen?« Ich kann nur an meinen Magen denken.
    Von China kommt ein knurrendes Bellen, und Skeetah schaut mich an, als hätte ich nichts gesagt.
    »Nein.« Er greift nach dem Hammer. »Ich will den Rahmen noch fertig machen, und dann muss ich zusehen, dass sie sie ordentlich säugt.« Er kratzt sich an der Stirn und zuckt die Achseln. »Züchterkram.« Sein Blick ist ein Komma, und dann fängt er wieder an zu hämmern. Ich gehe, um mir etwas zum Frühstück zu suchen.
    ∗ ∗ ∗
    Mama hat mir beigebracht, wie man Eier findet; ich folgte ihr über den Hof. Es war dort nie sauber. Selbst als sie noch am Leben war, standen dort leere Autos mit offenen Motorhauben und ausgeschlachteten Motoren, und die Karosserien sahen aus wie abgenagte Tierknochen. Wir hatten damals nur etwa zehn Hühner. Jetzt haben wir um die fünfundzwanzig
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