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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition)
Autoren: Jesmyn Ward
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sofort wieder hochgekommen, hatte die Wasseroberfläche durchschnitten und mich platschend und spritzend zurück ins Flache gekämpft, wo Daddy stand. Ich zog mit den Händen am Wasser, trat nach ihm mit den Füßen, ließ es mich vorwärtsschieben. So war Sex.
    Die Hühnereier in meinem T-Shirt sind so warm wie Steine, nur leicht, zu leicht, um die Farbe von Steinen zu haben. Ich erwarte, dass sie so schwer sind wie das Tongranulat, dessen Farbe sie haben, dass sie mich vorne runterziehen. Aber das tun sie nicht. Ich habe mal Froscheier gesehen, die zu Kaulquappenwurden; im Frühling wimmelt es in den Gräben um das Grundstück herum davon. Als Skeet und ich klein waren, legten wir uns auf den Bauch und beugten uns über die Gräben, griffen hinein und zogen ein paar Eier heraus, um uns aus der Nähe anzusehen, ob die kleinen wurmartigen Frösche darin schon zitterten und zuckten, schon lang und spitz genug geworden waren, um sich nach draußen zu bohren. Wenn sie noch aussehen wie Hunderte geschlossener Augäpfel, dann sind sie leichter als leicht, wie ein kühler Luftzug. Ich frage mich, ob innen liegende Eier – die Sorte von Eiern, die den Schutz eines Körpers brauchen, zum Beispiel Pferdeeier, Schweineeier, Menscheneier – auch so leicht sind. Sind sie durchsichtig wie Gelee mit Glühwürmchenherzen oder fest und still wie Stein? Offenbaren sie ihr Geheimnis, oder wollen sie es bewahren? Würde ein menschliches Ei sich zeigen?
    Junior schmollt, weil er nicht schon wieder Rühreier will. Er sitzt auf dem Boden vor dem funktionierenden Fernseher, der auf dem großen alten Holzfernseher steht, der nicht funktioniert, und ignoriert den Teller mit Ei, den ich vor ihn hingestellt habe, weil er sich weigert, am Tisch zu essen, es sei denn, Daddy prügelt ihn hin oder Randall überredet ihn dazu.
    »Das schmeckt wie Gummiband!«, mault er.
    Ich erinnere mich an den Geschmack von Gummibändern. Scharf, wie Metall. Bitter. Für etwas, das so weich und nachgiebig ist, schmecken sie scheußlich und irgendwie falsch; die Zunge zuckt zurück wie ein Regenwurm in der Hand eines Kindes. Und ich weiß, dass diese Eier kein bisschen so schmecken.
    »Junior, sei nicht so
sässig
.« Das hat Mama immer zu uns gesagt, wenn wir bockig waren, und ich sage es aus Gewohnheit zu Junior. Daddy hat es manchmal auch gesagt, bis er es einmal zu Randall sagte und der anfing zu kichern, und schließlich kam Daddy darauf, dass Randall lachte, weil es wie
sexy
klang und erdabei an etwas Unanständiges dachte. Ungefähr vor einem Jahr kam ich darauf, wie es eigentlich heißen sollte, als ich in der Vokabelliste im Unterricht bei Miss Dedeaux auf das Wort
aufsässig
stieß. Da fragte ich mich, ob Mama wohl noch andere Wörter so verhunzt hatte. Manchmal kamen mir bei den dümmsten Gelegenheiten mögliche Beispiele in den Sinn:
wutstaubend
– wenn ich die Küche fegte und Daddy hereinkam, Bier verkleckerte und gegen die Stühle trat.
Nassliebe
– wenn Manny mitten beim Schwimmen im See mit seinen Fingern unter Wasser Lust aus mir herauskitzelte.
Friergid
– wenn ich im November im Bett lag, zur Wand gerollt, als wollte ich mich verkriechen oder Platz machen für jemanden, der sich zu mir legte, um mich zu wärmen. Junior kichert nicht. »Jemand muss die Eier essen, Junior. Man darf kein Essen verschwenden. In Afrika gibt es Kinder, die hungern.«
    »Gib sie doch China«, murmelt Junior. Er reibt sich das Ohr. »Ich ess Nudeln.«
    »Ich werd dir bestimmt keine Nudeln kochen, Junior. Ich hab dir schon Eier gemacht.«
    »Du brauchst sie nicht zu kochen.« Er starrt den Fernseher an. Es läuft gerade ein Werbespot für Spielzeug. Er wird sie trocken essen, wird irgendwas Spitzes aus der Küche stibitzen und damit ein kleines Loch in die Gewürztüte stechen. Dann wird er den ganzen Tag lang an der verdammten Würzmischung nuckeln. Ich nehme ihm den Teller weg, und die Eier wackeln wie Gummi.
    Skeetah geht mit mir in den Schuppen, nachdem ich ihn beim Hämmern unterbrochen habe, indem ich ihn ins Bein gezwickt und auf den Teller mit Ei gezeigt habe. Ich hatte keine Lust zu schreien. Zu peinlich, zu wichtig, zu angeberisch, selbst wenn nur ich und Skeetah da sind. Drinnen liegt China auf der Seite, und die Welpen stapeln sich an ihrem Bauch und trinken. Sie blickt auf, fletscht die Zähne. Sieht Skeetah und lässt ihre Lippen einbisschen fallen, zeigt aber weiterhin die Reißzähne. Ich würde am liebsten einen Welpen in die Hand nehmen und so
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