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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition)
Autoren: Jesmyn Ward
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er ist sieben, und er ist neugierig. Als der Junge aus Germaine vor drei Monaten seinen Pitbullrüden zum Pit brachte, damit er sich mit China paaren konnte, hockte sich Junior auf ein Ölfass über der provisorischen Hundehütte, einer alten Pick-up-Ladefläche, über die Maschendraht gespannt war, und schaute zu. Als die Hunde sich ineinander verhakten, verschränkte er die Arme unter dem Kinn, rührte sich aber nicht vom Fleck, auch nicht, als ich ihn anbrüllte, er solle ins Haus gehen. Er lutschte an seinem Arm und spielte mit seinem Ohrläppchen, wie er es immer beim Fernsehen macht oder kurz vor dem Einschlafen. Ich habe ihn mal gefragt, warum er das macht, und er sagte nur, dass es wie Wasser klingt.
    Skeetah beachtet Junior nicht, weil er ganz auf China konzentriertist, so wie ein Mann sich auf eine Frau konzentriert, wenn er glaubt, sie gehört ihm, was bei China der Fall ist. Randall sagt nichts, aber er versperrt mit einem Arm die Tür, damit Junior nicht reingehen kann.
    »Nein, Junior.« Ich strecke ein Bein aus, um die Absperrung komplett zu machen, die Junior von dem Hund fernhält, von der gelben Schleimspur, die unter Chinas Hinterteil allmählich eine Pfütze auf dem Boden bildet.
    »Lass ihn zugucken«, sagt Daddy. »Er’s alt genug für so was.« Seine Stimme ist ein Planet in der Dunkelheit, der um den Schuppen kreist. Er hält in einer Hand einen Hammer, in der anderen ein paar Nägel. China kann ihn nicht ausstehen. Ich lasse locker, aber Randall rührt sich nicht. Junior ebenso wenig. Daddy dreht sich von uns weg wie ein Komet, der in die Dunkelheit entschwindet. Man hört den Hammer auf Metall treffen.
    »Er macht sie nervös«, sagt Skeetah.
    »Vielleicht musst du ihr beim Pressen helfen«, sage ich. Manchmal denke ich, dass Mama deswegen gestorben ist. Ich sehe sie vor mir, das Kinn auf der Brust, wie sie angestrengt versucht, Junior aus sich herauszupressen, während Junior sich an ihre Eingeweide klammert, nach allem greift, was er erwischen kann, um drinzubleiben, aber stattdessen hat er nur alles mit sich herausgezogen, als er auf die Welt gekommen ist.
    »Sie brauch null Hilfe beim Pressen.«
    Und die braucht China wirklich nicht. Ihre Seiten zucken. Sie knurrt, ihr Maul ist ein schwarzer Strich. Ihre Augen sind rot; der Schleim färbt sich rosa. Alles an China verspannt sich, unter ihrer Haut werden Tausende von Murmeln sichtbar, und dann scheint sie ihr Innerstes nach außen zu stülpen. Wo sie offen ist, sehe ich eine lila-rote Knolle. China erblüht.
    Hätte einer von Daddys Saufkumpanen ihn gefragt, was er heute Abend macht, hätte er gesagt, er macht alles für den Hurrikan bereit. Wir haben Sommer, und im Sommer kommt oder geht hier praktisch immer gerade ein Hurrikan. Jeder einzelne von ihnen schiebt sich über den flachen Golf bis zu dem zweiundvierzig Kilometer langen, künstlich angelegten Strand von Mississippi, wo er an den alten Sommervillen mit den zu Gästehäusern umgewandelten Sklavenhütten rüttelt, ehe er über den Bayou fegt, durch die Kiefern hindurch, um abzuflauen, sich auszuregnen und schließlich im Norden zu verenden. Die meisten treffen uns gar nicht mehr direkt; die meisten drehen nach rechts in Richtung Florida ab, oder nach links in Richtung Texas, sausen vorbei und gleiten an uns ab wie ein Hemdärmel. Es hat schon seit Jahren keinen mehr gegeben, der direkt auf uns zukam; lange genug, um zu vergessen, wie viele Wasserflaschen wir füllen müssen, wie viele Dosen Sardinen und Schmalzfleisch wir einlagern sollten, wie viele Wannen voll Wasser wir brauchen. Aber im Radio, das ständig in Daddys geparktem Pick-up läuft, wurde heute Vormittag davon gesprochen. Ich habe gehört, wie die Wettervorhersage meldete, das neunte tropische Sturmtief habe sich über dem Golf von Mexiko aufgelöst, aber ein weiteres scheine sich bei Puerto Rico zu bilden.
    Heute hat mich Daddy deshalb geweckt, indem er vom Flur aus laut an die Wand von meinem und Juniors Zimmer geklopft hat.
    »Aufwachen! Wir haben viel zu tun.«
    Junior drehte sich zur Wand und zog die Knie an die Brust. Ich setzte mich kurz auf, damit Daddy glaubte, ich würde aufstehen, dann legte ich mich wieder hin und döste ein. Als ich zwei Stunden später wieder wach wurde, lief Daddys Autoradio. Juniors Bett war leer, seine Decke lag auf dem Fußboden.
    »Junior, hol die restlichen Schnapsflaschen.«
    »Unter dem Haus sind keine, Daddy.«
    Draußen vor dem Fenster zeigte Daddy mit seiner Bierdose auf die
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