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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition)
Autoren: Jesmyn Ward
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keiner mich hört. Sie jault auf. Sie klingt wie ich, wenn ich mich an dem Seil, das über dem Wolf River an dem großen Baum hängt, übers Wasser schwinge und loslasse: angstvoll und begeistert. Ihre gestutzten Ohren krümmen sich nach vorn. Der Welpe gleitet aus ihr heraus. Er sieht gelb aus, mit schwarzen Streifen, aber als Skeetah ihn abwischt, verschwindet das Schwarz.
    »Blut sieht nachts schwarz aus«, sagt Randall.
    Der Welpe ist ganz weiß. Die kleine Hündin ist eine Miniaturausgabe ihrer Mutter. Aber während ihre Mutter ächzt, ist sie still. Skeetah beugt sich über sie. Die anderen Welpen öffnen die Kiefer, zucken mit den Beinen. Wir schwitzen alle so schlimm, dass wir aussehen, als wären wir eben erst durch einen heftigen Sommerregen in den Schuppen gelaufen. Aber Skeet schüttelt den Kopf, und ich weiß nicht, ob es nur Schweiß ist oder ob erweint. Er blinzelt. Er fährt mit dem Zeigefinger über den reinweißen Schädel, dann über die Brust des Welpen bis hinunter zum Bauch. Das Maul geht auf, und der kleine Bauch füllt sich mit Luft. Sie kommt nach ihrer Mutter. Sie ist eine Kämpferin. Sie atmet.
    Ich wickelte mir einen Streifen von einem alten Lappen um die Hand und wusch weiter, bis alle Glasflaschen in der Küche an der Wand aufgereiht waren. Junior war in den Wald gerannt, der das Haus umgibt, nachdem er verkündet hatte, er wolle Gürteltiere jagen. Die Jungs waren mit dem Basketballspielen fertig; nachdem Big Henry aus dem Wasserhahn getrunken, seinen Kopf nass gemacht und sich wie ein nasser Hund geschüttelt hatte, um mich zum Lachen zu bringen, fuhr er den alten Caprice, den ihm seine Mama zum sechzehnten Geburtstag gekauft hat, auf den Hof bis vors Haus. Randall und Manny stritten sich über das Spiel. Marquise legte sich im Schatten der Eichen auf die Kühlerhaube und rauchte eine Zigarre. Big Henry hat nur noch zwei Sechs-mal-neun-Zoll-Lautsprecher, die funktionieren, weil sein Verstärker und sein Bass durchgeknallt sind, deshalb waren ihre Stimmen lauter als die Musik. Ich sammelte die Scherben der zerbrochenen Flasche auf und legte sie in die Hälfte eines alten Mülltonnendeckels. Auf Knien suchte ich nach Glasstücken und fragte mich, ob ich die Scherbe finden würde, an der ich mich geschnitten hatte. Als ich fertig war, ging ich nach hinten, ans Ende des Gründstücks, zum Wald. Meine Augen hatten ein so starkes Bedürfnis, nach Manny Ausschau zu halten, dass es sich anfühlte wie ein Jucken an der Schläfe, aber ich ging weiter.
    Die Mutter meiner Mama, Mother Lizbeth, und ihr Daddy, Papa Joseph, hatten ursprünglich all dieses Land besessen: insgesamt ungefähr fünfzehn Morgen. Papa Joseph war derjenige, der ihm den Namen The Pit gab, Papa Joseph, der die weißen Männer,mit denen er zusammenarbeitete, hier Lehm abtragen ließ, um ihn für die Fundamente ihrer Häuser zu benutzen, derjenige, der ihnen erlaubte, einen Abhang auf einer Lichtung im hinteren Teil des Grundstücks abzutragen, wo er früher Futtermais angebaut hatte. Papa Joseph ließ sie so viel Erde mitnehmen, wie sie wollten, bis durch das ganze Graben hinter dem Haus eine Klippe über einer trockenen Grube entstanden war und der Bach, der ums Haus herum und den Hügel hinunter floss, sich geteilt und die Grube geflutet hatte, sodass sie zu einem See wurde, und dann fürchtete Papa Joseph, die Erde würde dem Wasser nicht standhalten, der See würde immer größer werden und das ganze Grundstück verschlingen und in einen Sumpf verwandeln, also hörte er auf, Erde zu verkaufen. Bald darauf starb er an Mundkrebs, zumindest hat uns Mother Lizbeth das so erzählt, als wir klein waren. Sie redete mit uns immer wie mit Erwachsenen, verfluchte uns wie Erwachsene. Sie starb im Schlaf, nachdem sie ihren Rosenkranz gebetet hatte, mit Mitte siebzig, und zwei Jahre später starb Mama, das einzige noch lebende Baby von den acht, die Mother Lizbeth geboren hatte, bei der Geburt von Junior. Seitdem wohnen hier nur noch wir und Daddy, mit China, den Hühnern und einem Schwein, wenn Daddy sich gerade eins leisten kann. Die Felder, die Papa Joseph um das Pit herum bestellt hat, sind mit Büschen überwachsen, mit Sägepalmen und mit Kiefern, die sich gen Himmel strecken wie die Borsten einer Bürste.
    Wir werfen unseren Müll in einen flachen Graben neben der gefluteten Grube und verbrennen ihn. Wenn die Nadeln der umstehenden Kiefern hineinfallen und Feuer fangen, dann riecht es okay. Sonst riecht es nach verbranntem
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