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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand
Autoren: Verbrechen
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der in dem Jahr viel Geld
mit Tackler verdient hatte, Leonhard ein Kindergewehr und Theresa eine Puppenküche. Etta brachte
die Spielsachen in den Keller. »So etwas brauchen die nicht«, sagte sie, und Tackler, der nicht zugehört hatte,
stimmte zu.
    Etta betrachtete die Erziehung als
abgeschlossen, als die Geschwister sich bei Tisch benehmen konnten, hochdeutsch
sprachen und ansonsten still waren. Sie sagte zu Tackler, es werde mit ihnen kein gutes
Ende nehmen. Sie seien zu weich, keine echten Tacklers wie er oder sein Vater.
Ihm blieb dieser Satz im Gedächtnis.
    Etta bekam Alzheimer, entwickelte
sich langsam zurück und wurde milder. Sie vererbte ihre Vögel einem Heimatmu seum, das dafür keine
Verwendung hatte und die Vernichtung der Präparate verfügte. Nur Tackler und die beiden Kinder waren
auf ihrer Beerdigung. Auf der Rückfahrt sagte er: »So, nun ist das auch
erledigt.«
     
    Leonhard arbeitete in den
Ferien für Tackler. Er wäre lieber mit Freunden unterwegs gewesen, aber er
hatte kein Geld. Tackler wollte es so. Er brachte seinen Sohn auf eine der
Baustellen, übergab ihn dem Vorarbeiter und sagte, er möge ihn »richtig rannehmen«.
Der Vorarbeiter tat, was er konnte, und als Leonhard sich am zweiten Abend vor
Erschöpfung übergab, sagte Tackler, er würde sich schon daran
gewöhnen. Er selbst habe in Leonhards Alter manchmal mit seinem Vater auf den
Baustellen geschlafen und »aus dem Knick geschissen«, wie die anderen
Eisenflechter. Leonhard solle sich nicht einbilden, er sei »etwas Besseres«.
    Auch Theresa hatte Ferienjobs,
sie arbeitete in der Buchhaltung der Firma. Wie Leonhard bekam sie nur dreißig
Prozent des durchschnittlichen Lohnes. »Ihr seid keine Hilfe, sondern macht
Arbeit. Euer Lohn ist ein Geschenk und kein Verdienst«, sagte Tackler. Wenn sie ins Kino wollten, gab
ihnen Tackler zusammen zehn Euro, und da sie mit dem Bus fahren mussten, reichte es
nur für eine Karte. Sie trauten sich nicht, ihm das zu sagen. Manchmal fuhr Tacklers
Fahrer sie heimlich in die Stadt und gab ihnen ein bisschen Geld - er hatte
selbst Kinder und kannte seinen Chef.
     
    Bis auf Tacklers Schwester,
die in der Firma angestellt war und schon jedes Kindergeheimnis ihrem Bruder
verraten hatte, gab es keine Verwandten. Vor ihrem Vater hatten die Kinder
anfangs Angst, dann hassten sie ihn, und schließlich war seine Welt ihnen so
fremd geworden, dass sie ihm nichts mehr zu sagen hatten.
     
    Tackler verachtete Leonhard nicht,
aber er verabscheute das Weiche in ihm. Er dachte, er müsse ihn härter machen,
ihn »schmieden«, wie er sagte. Als Leonhard fünfzehn war, hatte er in seinem
Zimmer ein Bild von einer Ballettaufführung gehängt, die er mit seiner Klasse
besucht hatte. Tackler riss es von der Wand und brüllte ihn an, er solle bloß
aufpassen, er werde noch schwul. Er sei zu fett, sagte Takler zu Leonhard, so
bekäme er nie eine Freundin.
    Theresa verbrachte jede Minute
mit ihrem Cello bei einem Musiklehrer in Frankfurt. Tackler verstand sie nicht; er ließ
sie deshalb in Ruhe. Nur einmal war es anders. Es war Sommer, kurz nach
Theresas 16. Geburtstag.
Der Tag war wolkenlos. Sie schwamm nackt im Pool. Als sie aus dem Wasser kam,
stand Tackler am Rand des Beckens. Er hatte getrunken. Tackler sah seine Tochter wie eine
Fremde an. Er nahm das Handtuch und begann sie abzutrocknen. Als er ihre Brüste
berührte, roch er nach Whiskey. Sie rannte ins Haus. In den Pool ging sie nie
wieder.
     
    Bei den wenigen gemeinsamen
Abendessen unterhielt man sich über >seine< Themen, über Uhren, Essen und
Autos. Theresa und Leonhard kannten den Preis jedes Wagens und jeder Markenuhr.
Es war ein abstraktes Spiel. Manchmal zeigte der Vater ihnen Kontoauszüge,
Aktien und Geschäftsberichte. »Das alles wird einmal euch gehören«, sagte er,
und Theresa flüsterte Leonhard zu, dass er das aus einem Film zitiere. »Das
Innere«, sagte Tackler, »ist Blödsinn.« Das bringe nichts.
     
    Die Kinder hatten nur sich
selbst. Als Theresa am Konservatorium angenommen wurde, beschlossen sie, Tackler gemeinsam zu verlassen. Sie
wollten es ihm beim Abendessen sagen und hatten dafür geübt, sie hatten sich
überlegt, wie er reagieren würde, und sich die Antworten zurechtgelegt. Als sie
anfingen, sagte Tackler, er habe heute keine Zeit, und verschwand. Sie mussten
drei Wochen warten, dann führte Theresa das Wort. Die Geschwister glaubten, Tackler würde zumindest sie nicht
schlagen. Sie sagte, dass beide Bad Homburg jetzt
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