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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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Kreativität anderer entfalten kann, und hierfür setzen wir unsere eigene Kreativität ein. Das ist vielleicht das ganze Geheimnis.

Die Fülle der Wahrnehmung
    Wie das Gehirn unsere Sinneswahrnehmungen verändert
    Kreativität basiert auf wahrgenommenen Informationen. Sinnesorgane bilden „mittige“ Wahrnehmungen, um damit sensibler für Abweichungen zu sein. Experte ist, wer einen inneren Maßstab entwickelt und damit eine hohe Sensibilität hat. Dies ist oft bei Künstlern der Fall, aber manchmal auch bei deren Vätern, wie die folgende Erzählung beweist.
    Auguste beim Lesen zuzuhören war eine Qual. Schriftstücke von ihm: eine Katastrophe. „Zu viele Fehler, er muss mehr lernen, mit mehr Disziplin“, meinten seine Lehrer. Doch sein Vater war anderer Meinung. „Der Junge kann nicht richtig lesen und schreiben, aber er kann etwas anderes. Er hat ein gestalterisches Talent.“ Er nahm seinen 14-jährigen Sohn Auguste wieder aus dem Internat, wo er „unter denen leidet, die ihn mit Fremdheit und Rücksichtslosigkeit umgeben“. Stattdessen ermöglichte er ihm etwas anderes: Sein Sohn „lernt in einer kleinen Zeichenschule zuerst den Ton kennen, den er am liebsten nicht wieder aus den Händen ließe: so sehr sagt dieses Material ihm zu.“ Auguste wuchs heran und wurde zu dem weltberühmten Mann, dessen Biografie der Dichter Rainer Maria Rilke, von dem die beiden obigen Zitate stammen, wie folgt begann: „Rodin war einsam vor seinem Ruhme. Und der Ruhm, der kam, hat ihn vielleicht noch einsamer gemacht.“
    Doch hier soll es zunächst gar nicht um den französischen Bildhauer Auguste Rodin gehen, sondern um seinen Vater. Der arbeitete als Beamter in der Polizeiverwaltung und bemerkte früh, dass sein Sohn offenbar an einer Störung litt, die heute als Legasthenie bekannt ist, damals aber noch gar nichterforscht war. Und er spürte Augustes Kunstbesessenheit. Er nahm sowohl die Stärken und als auch die Schwächen seines Sohnes in den Blick, um dann nach einem Weg zu suchen, ihm zu helfen. Vor seinem kreativen Handeln stand also die Wahrnehmung.
    Verschiedenste Sinnesorgane geben uns Auskunft über die Welt. Der ursprünglichste Sinn ist das vestibuläre System, das unser Gleichgewicht steuert und uns auf der Welt stehen lässt. Der für uns wichtigste Sinn ist der visuelle, 80 Prozent der sinnesverarbeiteten Neuronen im Gehirn sind mit ihm beschäftigt. Aber alle Sinnesorgane verrichten Dienstleistungen, um uns an die Welt anzubinden und uns Orientierung darin ermöglichen. Bei Tieren ist dies ebenso, aber Menschen ist ihre Fähigkeit zur Wahrnehmung in stärkerem Maße als anderen Lebewesen bewusst. Sie haben, wie man in der Psychologie sagt, eine „Theory of Mind“, eine Theorie darüber, wie der Geist funktioniert, und damit auch die Fähigkeit, sich in Gefühle, Situationen, Denkweisen und Wahrnehmungen anderer Personen hineinzuversetzen. Mit der Fähigkeit, eine Außenperspektive zu sich selbst zu entwickeln, geht einher, dass wir die Welt nicht nur hinnehmen, sondern sie wahrnehmen. Darin, dass wir uns unserer Wahrnehmungsfähigkeit bewusst werden, liegt der Ursprung von Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, es beginnt eine Art Wahrnehmungskreislauf: Ich nehme wahr, nehme wahr, dass ich wahrnehme, und nehme dann umso intensiver wahr. Auf die Wahrnehmungen erster Stufe reagieren wir zunächst. Die durch Achtsamkeit gesteigerte Wahrnehmung ist jedoch Grundlage für einen noch reichhaltigeren Input an Informationen durch die Sinnesorgane, und diesen können wir kreativ verwenden.
    Damit sind wir wieder bei Rodin angelangt. Denn die Achtsamkeit für das Wahrnehmen der Umwelt lässt sich steigern. Künstler zeigen uns ein anderes Bild von der Welt als das von uns flüchtig wahrgenommene. Rodin war in einer besonderen Weise kreativ: Er löste sich vom vorherrschenden überhöhten Schönheitsideal in der Kunst und erhob das Unfertige in der Kunst zum Prinzip. Für diese Sicht auf die Welt nahm er auch Anfeindungen und Rückschläge in Kauf. Aber nicht nur Künstler, sondern Wissenschaftler können die Welt in einer besonderen Weise wahrnehmen, neue Zusammenhänge herstellen und dies kreativ veranschaulichen. Während der Bildhauer in einer Skulptur seine Sicht auf die Welt darstellt, gelingt dem Wissenschaftler dies vielleicht in einer neuen mathematischen Formel. Das dahinterstehende Prinzip ist jedoch dasselbe. Und es gilt auch für den privaten Bereich einer jeden Person, was Tagebucheinträge, die
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