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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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für alles, sagt er.
    Wann kommen die endlich? – Sarahs letzte Worte.
    Zimmer C 28.
    Die Ärzte kommen.
    Morphium
    Morphium
    Noch zwei, drei Stunden, sagen sie, vielleicht auch Tage. Ihr Herz ist stark.
    Morphium und Sauerstoff
    Puls auf 220.
    Es ist Dienstag, 1. März 2011, Sarah, die Augen geschlossen, atmet langsam und laut, ihre Lunge rasselt, man hört sie noch im Flur vor C 28, die Mutter, sie weiß nicht weshalb, führt ihre Hände über Sarahs Hals, ohne ihn zu berühren, über ihre Brust, Sarah schwitzt, ihre Füße sind jetzt kalt, es ist Abend, und Sarahs Atem stockt, setzt aus, setzt ein, Mami, Papi, die kleine Schwester, Sarahs Freund, die beste Freundin stehen am Bett und halten sich an den Händen.
    Danke für alles, sagt der Vater.
    Sarah geht um 19 Uhr 35.
    Der Vater schließt ihre Augen, dann legt er sich zu Sarah ins Bett, hält ihre Hand, schnuppert an ihr und denkt, sie riecht wie einst im Tragetuch, noch besser als im Tragetuch. Dann schläft er ein, vielleicht eine Stunde lang.
    Jetzt wäscht er sie.
    Zieht ihr Ringelsocken über die Füße, blauweiß, setzt die wollene Mütze auf Sarahs kahlen Kopf.
    Und die kleine Schwester lackiert die Nägel der großen tizianrot.

Puccini statt Pralinen
    Lucia liebt Edgardo und umgekehrt.
    Doch Enrico, Lucias Bruder, gibt sie Arturo.
    Worauf Lucia – was man zwar nicht sieht, schon gar nicht vom äußersten Platz im zweiten Rang – Arturo ersticht und, das Messer noch in der Hand, ihr Kleid voller Blut, im hellen Wahn die Hochzeit mit Edgardo besingt.
    Der erfährt, dass die Liebste, vom Kummer zerstört, nach ihm ruft.
    Doch zu spät.
    Eine Totenglocke füllt die Bühne des Stadttheaters Solothurn kurz vor halb elf Uhr nachts, es ist Freitag, 6. April 1979, und Edgardo folgt Lucia di Lammermoor in den Tod, stößt sich den Dolch ins gebrochene Herz: Vorhang.
    Und Dario Negrotti, 4552 Derendingen SO, fünfzehnjährig, zum ersten Mal in der Oper, weiß nicht, wie ihm geschieht, seine Hände zittern, es jauchzt im Bauch. Der Bub rennt zum Fahrrad und rast nach Hause.
    Wie war es?, fragt die Mutter.
    Schöneres habe ich noch nie gehört, glüht der Bub.
    Um was ging es?, fragt der Vater.
    Um die Liebe und so.
    Um die Liebe und so!, knurrt der Vater, Arbeiter in der Kohlenhandlung seines Schwiegervaters, und trinkt das Glas leer.
    Der Vater ist Italiener, Provinz Treviso, Venetien, in die Schweiz gekommen auf der Suche nach dem besseren Leben. Die Mutter, eine Einheimische, vier Kinder, hat an der Kanalgasse einen Laden und verkauft Italienisches, Mortadella, Sardellen, Oliven, Stockfisch. In Derendingen steht eine Kammgarnspinnerei, im Nachbardorf das Stahlwerk.
    Dario ist ihr zweiter Sohn, im Turnverein hält er es nicht aus, in der Jungwacht nicht, der Jungwächter ist Marienritter und Christusträger, der Jungwächter liebt seine Heimat, er ist keusch an Leib und Seele.
    Aber Dario singt im Schülerchor.
    Er summt und singt, wenn er im Laden der Mutter Regale füllt, wenn er jätet im Garten des Großvaters.
    He, wenn du noch einmal über mein Rosenbeet springst, schmier ich dir eine!
    Weil der Großvater, Händler mit Kohle und Öl, Präsident des Fußballclubs, nicht will, dass sein Enkel, dieser Linkshänder und Träumer, die Oberschule des Dorfes besucht, die Klasse derer, die es weder in die Sekundar noch ans Gymnasium schaffen, befiehlt er Dario nach Solothurn ans Privatinstitut Jura, drei Jahre lang, Vater und Mutter schweigen und zahlen.
    Anfang April 1979 liest Dario Negrotti, der selten Zeitung liest, in der Solothurner Zeitung: Lucia di Lammermoor, Oper in drei Akten von Gaetano Donizetti.
    Was ist das?, fragt er seine Mutter. Oper?
    Ein Theater aus Musik.
    Das möchte ich sehen.
    Du?
    Ja, sagt Dario, fünfzehn.
    Ohne mich, sagt Mama.
    Dieses Jauchzen im Bauch, als Lucia di Lammermoor sich in den Wahnsinn singt –
    Am Samstagabend sitzt jetzt Dario Negrotti vor dem Radio und hört Opern. Die Mutter kauft ihm ein Abonnement für die Spielzeit 1979/80, Stadttheater Solothurn, Theatergasse 18, Dario, sechzehn, oft allein, lässt keine Vorstellung aus, auf dem Fahrrad fährt er hin, setzt sich ins Gestühl und glüht auf, auch bei Shakespeare, bei Dürrenmatt, Kohut, Ionesco. In der Schule hält man Vorträge über Status Quo, Pink Floyd, Abba, Porsche, Bayern München, Dario redet über Verdis Rigoletto. Auf Kassette spielt er die Stelle, da Rigoletto tapfer den Hofnarren des Herzogs von Mantua gibt und längst ahnt, dass dieser in der Nacht
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