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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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zuvor seine – Rigolettos – Tochter geraubt und geschändet hat, Signori, perdon, perdono, pietà, ridate a me la figlia, tutto al mondo è tal figlia per me, ridate a me la figlia, tutto al mondo ell’è per me, pietà, pietà, signori, pietà, signori, pietà.
    Au, Dario, hörst du dir das freiwillig an?
    Dieses Klopfen im Hals, wenn der Vorhang fällt –
    La belle Hélène von Jacques Offenbach.
    Das Fernsehen zeigt einen Film über Homosexuelle, Familie Negrotti-Lüthi sitzt vor dem Gerät, und der Vater, krumm und früh verbraucht, sagt: Uno così non mette piede in casa, so einer kommt mir nicht ins Haus.
    Manchmal sitzt er am Tisch in der Küche, ein Glas Grappa vor sich, und weint oder streitet mit der Mutter.
    Ich bin ja hier nur der Tschingg, lallt er, nur der Tschingg, einen Sack Kohlen auf dem Buckel, Treppe rauf, Treppe runter, der Kohlentschingg.
    Dario springt nicht mehr über das Rosenbeet des Großvaters.
    Als das Radio über die Roten Brigaden in Italien berichtet, über ihre Morde und Parolen, lärmt der Großvater, der ganzen Brut da unten, in diesem Drecksitalien, wäre mit einer Atombombe am besten gedient.
    Ständig hackst du auf uns herum!, bricht es aus Dario, er weiß nicht, wie ihm geschieht.
    Wortlos schreitet der Großvater vom Tisch und schlägt die Tür ins Schloss, niemand spricht, Dario schwitzt.
    Und die Großmutter flüstert: Entschuldige dich bei Opa, dann geht es ihm wieder gut, hopp, hopp.
    Dario entschuldigt sich.
    Weil der Großvater Bäcker-Konditor gelernt, dann aber, nach dem Tod des Urgroßvaters, die Kohlenhandlung übernommen hat, lernt Dario Negrotti, siebzehn, der nichts mehr liebt als Opern, Konditor-Confiseur. Die Mutter begleitet ihn zum Bahnhof, April 1980, sie weint, Dario steigt in den Zug, sie winkt, er fährt, wandert endlich durch die Stadt Biel zur Confiserie Suter, Marktgasse 18, wo er nun Lehrling ist während dreier Jahre. Er steigt hinauf in den fünften Stock in sein kleines Zimmer und packt den schweren Koffer aus, Unterwäsche, Hemden, Schallplatten, Verdi, Mozart, Rossini, Händel, Bizet, Donizetti, Monteverdi, Salieri, Puccini, Schubert.
    Savarin, verwandt mit Baba au rhum, macht er bald meisterhaft. Das trockene Gebäck aus Hefe- oder Sandkuchenteig weicht Dario in Zuckersirup auf, tränkt es in Rum, krönt es mit geschlagener Sahne.
    Cavallaria rusticana von Pietro Mascagni, Pagliacci von Ruggero Leoncavallo, zwei Kurzopern, Stadttheater Bern, Samstag, 20 Uhr, 13. März 1982.
    Dario gefällt ein Mädchen, erste Liebe im fünften Stock, man langweilt sich, Schluss nach drei Monaten.
    Manchmal fährt Dario Negrotti, neunzehn, nach Basel ins Theater, manchmal nach Zürich ins Opernhaus, und zittert vor Glück im Gestühl.
    Ist das normal?
    Eigentlich will er jetzt keine Freundin mehr.
    Die Abschlussprüfung, Mai 1983, besteht er mit der Note 5.4, alles gelingt, die belegten Brötchen, die Nussgipfel, die Mandelgipfel, Schnecken, Pasteten, Torten, Pralinen. Stolz reisen aus Derendingen die Eltern an und fotografieren Darios Kunst.
    Und nun? Erdbeertörtchen bis an mein Ende?
    Er zieht wieder ins Haus der Eltern, Kanalgasse 2, steht nachts um ein Uhr auf und fährt auf dem Rad nach Utzenstorf, arbeitet, kommt gegen Mittag zurück und legt sich ins Bett.
    Ich will Schauspieler werden.
    Schauspieler?, fragt die Mutter.
    Singen traue ich mir nicht zu.
    Wo du doch so wunderbar singst.
    Dario Negrotti, zwanzig, Konditor-Confiseur, meldet sich am Konservatorium Bern zur Aufnahmeprüfung an, er übt eine Szene aus Schillers Räuber, auch Goethes Zauberlehrling, walle, walle manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fließe, und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße, und den berühmten Schlussmonolog aus Die Nashörner von Eugène Ionesco. Endlich steht er auf der Bühne, zehn, fünfzehn Menschen hängen im Raum, Experten, die hüsteln und warten, dass Dario, die Hände feucht und kalt, los wird, was er gelernt hat, immer wieder zu Hause in Derendingen, Kanalgasse 2, was ist meine Sprache?, ist es Deutsch, das?, es muss wohl Deutsch sein, aber was ist denn Deutsch?, man kann das Deutsch nennen, wenn man will, niemand kann es bestreiten, ich bin der Einzige, der es spricht, was sage ich?, verstehe ich mich denn?, verstehe ich mich denn?, ein Ungeheuer bin ich, ein Ungeheuer, nie werde ich Nashorn, nie, nie!
    Dario versucht es auch an der Schauspielakademie Zürich, verstehe ich mich denn?, ein Ungeheuer bin ich, ein Ungeheuer, nie werde ich
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