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Von der Erde zum Mond

Von der Erde zum Mond

Titel: Von der Erde zum Mond
Autoren: Jules Verne
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einer Schenkbude.
    »Sangaree mit Bordeaux!« erwiderte ein Anderer mit kreischender Stimme.
    »Und Gin-sling!« ließ ein Anderer sich vernehmen.
    »Und Cocktail! Brandy-smash!« schrie ein Anderer.
    »Wer echten Münz-Julep kosten will nach neuester Mode!« riefen die gewandten Verkäufer, indem sie so flink wie Taschenspieler, Zucker, Citrone, Münzkraut, zerstoßenes Ei, Cognac, Ananas mit Wasser mengten, den erquickenden Trank zu bereiten.
    So wiederholten sich gewöhnlich die lockenden Zurufe an die lechzenden, durch Gewürze gereizten Kehlen, durchkreuzten sich in betäubendem Lärm. Aber am 1. December hörte man wenig von solchem Geschrei; die Schenkwirthe hätten vergeblich sich heiser gerufen. Kein Mensch dachte an Essen und Trinken, und um vier Uhr Nachmittags hatten Manche ihren gewohnten Imbiß noch nicht zu sich genommen. Noch mehr, die leidenschaftliche Spiellust der Amerikaner unterlag der Spannung der Gemüther. Wie ließ man Kegel und Würfel bei Seite, kümmerte sich nicht um
Roulette
und
Cribbage
, ließ die Whistkarten,
Rouge et noir, Monte
und
Faro
unangetastet: das Ereigniß des Tages verschlang jedes andere Bedürfniß, und ließ für keinerlei andere Zerstreuung Raum.
    Bis zum Abend lief eine dumpfe geräuschlose Bewegung, wie die Schwüle vor schweren Naturereignissen, durch diese harrende Menge. Unbeschreibliches Mißbehagen beherrschte die Geister, peinliche Zerschlagenheit, unerklärliche Beklemmung lastete auf den Gemüthern. Jeder wünschte, »es möge vorüber sein.«
    Gegen sieben Uhr wurde dies dumpfe Schweigen plötzlich unterbrochen. Der Mond stieg am Horizont empor, begrüßt von etlichen Millionen Hurrah’s. Er fand sich pünktlich auf seinem Platze ein. Das Geschrei drang bis zum Himmel empor; auf allen Seiten Händeklatschen, während die blonde Phöbe friedlich in bewunderungswürdigem Schein erglänzte und die berauschte Menge mit liebevollen Strahlen entzückte.
    In diesem Moment erschienen die drei unerschrockenen Reisenden. Bei ihrem Anblick immer lauteres Zurufen. Urplötzlich, einmüthig erschallte der Nationalgesang aus beklommener Brust, und das
Yankee doodle
drang im Chor aus fünf Millionen Kehlen gleich rauschendem Sturmwind bis zum Ende des Luftmeers hinan.
    Nach diesem unwiderstehlichen Aufschwung verstummte der Gesang, die letzten Harmonien lösten sich auf, das Geräusch verschwand, und eine schweigende Bewegung durchlief die tief ergriffene Menge. Inzwischen waren der Franzose und die beiden Amerikaner in den umzäunten Raum getreten, um welchen herum die unzählige Menge sich drängte. Sie erschienen in Begleitung der Mitglieder des Gun-Clubs und der von den europäischen Observatorien gesendeten Deputationen. Barbicane ertheilte mit kalter Seelenruhe seine letzten Befehle. Nicholl schritt mit geschlossenen Lippen, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, mit festem, gemessenem Tritt einher. Michel Ardan, stets leichten Herzens, in vollständiger Reisekleidung, mit Ledergamaschen und Reisetasche, von weiter, braunsammtner Kleidung umwallt, theilte im Vorübergehen warme Händedrücke mit fürstlicher Freigebigkeit aus. In unversiegbarer Laune munterster Heiterkeit lachend, scherzend, schnitt er dem würdigen J.T. Maston Grimassen; mit einem Wort »Franzose«, und was noch schlimmer ist, »Pariser« bis zur letzten Secunde.
    Es schlug zehn, und nun ward es Zeit in dem Projectil Platz zu nehmen. Das zum Hinabsteigen erforderliche Verfahren, das feste Zuschrauben des Verschlusses, das Hinwegschaffen der Krahnen und Gerüste über der Mündung der Columbiade kostete eine gewisse Zeit.
    Barbicane hatte sein Chronometer fast bis auf ein Zehntheil Secunde nach dem des Ingenieur Murchison gerichtet, der beauftragt war, das Pulver vermittelst des elektrischen Funkens zu entzünden. So konnten die in dem Projectil eingeschlossenen Reisenden mit dem Auge die rührungslose Nadel verfolgen, welche ihnen genau den Augenblick der Abfahrt anzeigte.
    Der Moment des Abschieds war gekommen; eine rührende Scene. Trotz seiner fieberhaften Munterkeit empfand Michel Ardan eine Gemüthsbewegung. J.T. Maston hatte unter seinen trockenen Wimpern eine alte Thräne wieder gefunden, die er ohne Zweifel für diese Gelegenheit gespart hatte. Er vergoß sie auf das Antlitz seines theuren, wackeren Präsidenten.
    »Wenn ich doch mitginge!« sagte er, »noch ist’s Zeit!«
    – Unmöglich, alter Freund, erwiderte Barbicane.
    Nach einigen Augenblicken befanden sich die drei Reisegefährten im
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