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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Autoren: Christian Mähr
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Methode gefunden, die überflüssige Kette »abzuschneiden« und aus dem Produkt Progesteron herzustellen:

    Auch diese Substanz war ein Sexualhormon; das Gramm kostete tausend Dollar, man gewann es bis dahin in winzigen Mengen aus Tieren – und verwendete es, um die Fruchtbarkeit von Rennpferden zu erhöhen; zwei Milligramm-Dosen konnten auch manchen unfruchtbaren Frauen zur Schwangerschaft verhelfen.
    Marker gründete 1943 in Mexiko die Firma Syntex, wo aus Pflanzen in der Folge Progesteron hergestellt wurde. Man wird sich fragen, warum die Chemiker denn diese Hormone nicht so herstellen, wie sie alles andere auch zu machen scheinen, aus Erdöl nämlich oder aus Kohle, denn sie können doch jede chemische Struktur erzeugen, die ihnen in den Sinn kommt, nicht wahr? Im Prinzip lassen sich auch komplizierte Moleküle mit vielen Atomen aus kleinen Molekülen mit nur zwei oder drei davon aufbauen. Dazu ist eine bestimmte Zahl chemischer Reaktionen nötig, je größer das Endprodukt, desto mehr. Das Ergebnis einer Reaktion ist wieder der Ausgangsstoff für die nächste und so weiter. Auf dem Papier sieht das schön aus … Nehmen wir einmal an, die Reaktionsfolgen gehen tatsächlich so vonstatten, wie es sich der Chemiker ausgedacht hat (das ist durchaus nicht immer der Fall), dann tritt bei der praktischen Durchführung immer noch das Problem auf, dass die Reaktionen nie zu 100 Prozent ablaufen; wenn zum Beispiel theoretisch 100 Gramm Produkt herauskommen sollten, gewinnt man praktisch vielleicht 80 Gramm, hat also eine Ausbeute von 80 Prozent. Um dieses Wörtchen Ausbeute dreht sich die ganze synthetische Chemie. Wo sind die restlichen 20 Gramm geblieben? Die haben sich gar nicht gebildet, sondern es vorgezogen, sich in irgendwelche unübersichtlichen Nebenreaktionen zu verdünnisieren, deren Ergebnisse als sogenannter »Dreck« das Hauptprodukt verunreinigen. Das muss man deshalb aus der Reaktionsmischung isolieren und reinigen, bevor man sie als reinen Stoff in die nächste Reaktion geben kann. Sagen wir, diese nächste Reaktion läuft auch nur zu 80 Prozent, dann sind das 80 Prozent von den vorigen 80 Prozent, also nur noch 64 Prozent. Jetzt nehmen wir an, die Reaktionskette durchlaufe nicht 2 Stufen, sondern 40, jede einzelne Reaktion liefere 80 Prozent der Theorie (schon das eine heillos optimistische Annahme!). Die Schlussausbeute liegt dann bei 0,840 – also 0,8 40 Mal mit sich selber multipliziert, ergibt 0,013 Prozent – oder etwa ein 7500stel der Ausgangsmenge; um also 1 Kilo Endprodukt zu haben, müsste man mit 7,5 Tonnen Ausgangsstoff anfangen, nicht zu reden von vielen Tausend Litern Lösungsmittel, Tonnen von Hilfschemikalien und so weiter, in der Summe ein Eisenbahnwaggon voll für ein einziges Kilo, das dann natürlich auch einen astronomischen Preis hätte – den niemand bezahlen will oder kann. Weshalb man die ganze Sache von vornherein seinlässt. Auch heute noch gewinnt man das Grundgerüst der Pillenhormone aus bestimmten Yamswurzeln, die zu diesem Zweck angebaut werden – vor der Chemie steht hier also die Landwirtschaft, was den wenigsten Konsumentinnen der Pille klar sein dürfte. Dann wäre die Pille fast ein Naturprodukt? Wirklich nur fast. Erst Markers geniale Methode wandelte Diosgenin in Progesteron um.
    Markers Ziel war nie gewesen, ein orales Verhütungsmittel zu erschaffen. Er wollte einfach Steroide in so großen Mengen herstellen, dass die Wissenschaft damit experimentieren und Anwendungen entwickeln konnte – weder vielstufige Synthesen noch die Gewinnung von Milligrammmengen aus tierischen Organen war dazu geeignet. Zum Beispiel ist auch das Wundermittel Cortison ein Steroid; damals war es ein ganz heißer Kandidat gegen Rheuma, die teuerste Volkskrankheit.
    Markers weitere Laufbahn verlief unglücklich. Er überwarf sich mit seinen Geschäftspartnern und zog sich 1949 ganz von der Chemie zurück – mit der bemerkenswerten Feststellung, die Chemiker seien »alles Halunken«. Er verschwand 1949 aus der Welt der Chemie, was zu Gerüchten führte, er sei gestorben oder vegetiere in einer Irrenanstalt. Tatsächlich lebte er in Mexico City und vertrieb Nachbildungen mexikanischer Silberschmiedarbeiten des 18. Jahrhunderts. Erst 1969 wurde er »wiederentdeckt« und erhielt zahlreiche Ehrungen. Seine chemische Entdeckung, der »Marker-Abbau«, gehört sicher zu jenen chemischen Reaktionen, die das Leben der Menschen noch für lange Zeit prägen werden. Er starb hochbetagt 1995.
    Als
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