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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Autoren: Maori Kunigo
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Bibbernd steige ich
aus dem Wasser und trockne meine Füße ab. Leider nur halbherzig, was sich
später rächen wird. Im Moment will ich einfach nur schnell in die Socken
schlüpfen, die Schuhe schnüren und weiterlaufen. Was mich zum Nachdenken
bringt: Hier steht ein herrenloses Paar Wanderschuhe herum. Wurde der Besitzer
fortgespült? Hat er sie einfach zurückgelassen? Vielleicht lauert hier irgendwo
der Denker im Gebüsch. Besser, ich setze meinen Weg unverzüglich fort.
    Während es einige Kilometer
durch bekannte Landschaften geht, kann ich immer wieder einen Blick auf die
unendlichen Weiten des Atlantiks erhaschen. Nebenbei bemerkt entpuppt sich die
Markierung des Weges als die wohl schlechteste aller bisherigen Etappen, von
wegen »gut markiert«. Auf gerader Strecke ohne jede Möglichkeit abzubiegen
prangen auffällige Muschelwegweiser am Wegesrand. Dafür fehlen sie an etlichen
Kreuzungen und Abzweigungen, und wenn man allein im Wald unterwegs ist, muss
man eben raten. Mein Wanderführer hilft mir übrigens nicht ansatzweise weiter,
denn der ist ja stur der Meinung, der Weg sei eine »angenehme Etappe«. Also
rate und irre ich wild umher, und jedes Mal wächst die Wut auf Cordula Rabe.
Was die Wegbeschreibungen angeht, hat sich ihr Wanderführer wirklich als
kompletter Reinfall erwiesen. Für so etwas Halbherziges und Nutzloses fast
fünfzehn Euro zu verlangen, da platzt mir doch fast der Kragen. Stattdessen
platzt mir kurz hinter dem Weiler Morquitián an der rechten Ferse eine nagelneue,
dicke Blase. Woah, das tut weh! Es brennt wie Hölle, ich muss mich sofort
hinsetzen und verarzten. Jetzt rächt sich meine Ungeduld. Hätte ich doch nach
der Socken-aus-und-waten-Passage meine Füße sorgfältiger abgetrocknet. Wenn die
Haut Wasser aufnimmt, erhöht sich der Druck in den Schuhen und damit die
Reibung, es entstehen Blasen, die irgendwann platzen. Zudem hat der Bach die
Hirschtalgcreme von meinen Füßen abgewaschen. Besagte Creme verhindert
Reibungen und macht die Haut widerstandsfähiger. Auf den letzten Drücker
erworben, hat sie sich als einer der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände
erwiesen und mich größtenteils vor Blasen bewahrt. Wie ich jetzt schmerzlich
feststelle, hätte ich die Füße nach dem Abtrocknen auch noch neu eincremen
sollen. Da ich auf beides verzichtet habe, verleihe ich mir hiermit den
goldenen Vollpfosten und klatsche meinen gesamten Pflastervorrat auf die
triefende Stelle. Etwa sechs Kilometer sind es noch bis Muxía, die hätte die
blöde Blase ja wohl bitteschön noch ausharren können. Aber nein, wenn schon
letzte Etappe, dann richtig. Und dann sind die restlichen Kilometer auch noch
so unnötig hügelig, bei jedem Aufstieg fühle ich einen stechenden Schmerz an
der betroffenen Stelle. Als ob jemand die Haut abgezogen hätte, um die Stelle
blutig zu reiben. Moment mal, die Haut ist abgezogen und die Stelle
blutig gerieben. Wenigstens ist mir Cordula jetzt scheißegal. Ich versuche es
gelassen zu nehmen, und tatsächlich gelingt mir das auch weitestgehend.
    ...eine geplatzte Blase tut
echt verdammt weh.
    Auf der Zufahrtsstraße nach
Muxía laufe ich endlich wieder an der Küste entlang. Trotz oder gerade wegen
der unerwartet großen Strapazen bin ich völlig aufgedreht. Bei der traumhaften
Aussicht auf schroffe Felsformationen, einen menschenleeren Sandstrand und die
malerische Bucht kein Wunder. Und dann steht da direkt am Meeresufer doch
tatsächlich ein kleines Fußballstadion. Sogar mit Flutlichtanlage. Hier hat
sich bestimmt schon der eine oder andere Ball ins Meer verabschiedet. Als ich um
halb vier endlich das Ortseingangsschild von Muxía erblicke, balle ich die
Faust und stoße ein energiegeladenes »Yes!!!« heraus. Ja, genau so habe ich mir
das Ende meines Camino vorgestellt. Was für ein erfüllendes, großartiges
Gefühl! Ich muss an meine Eltern denken, an Chris und Marcos, an Sebastian und
Carina im fernen Hamburg Schließlich denke ich nur noch an mich, an meine Angst
vor der Reise, an meinen ersten Abend in Logroño, an tausend andere Dinge. Ich
realisiere, dass ich die heutige Etappe (laut Wanderführer siebenundzwanzig
Komma acht Kilometer) mitsamt aller Umwege ohne eine einzige richtige Pause in
sechseinhalb Stunden durchgelaufen bin. Für meine Verhältnisse nicht übel,
denke ich. Völlig erschöpft, aber zufrieden wie schon lange nicht mehr erreiche
ich die albergue von Muxía, einen klotzigen, museumsartigen Betonkasten.
Der etwas schroff wirkende
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