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Vom Himmel in Die Traufe

Titel: Vom Himmel in Die Traufe
Autoren: Arto Paasilinna
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zweitausendfünfhundert Tangos zu proben, koste es, was es wolle. Wir haben sämtliche finnischen Tangos von 1924 an im Repertoire, dazu noch hundert aus anderen Ländern.«
    Gegen Mittag erklärte Lena Lundmark, dass sie es nicht länger aushalte, und sie bat Hermanni, etwas zu unternehmen, damit das Konzert enden möge. Der sommer­liche Schneesturm war abgeflaut, inzwischen schien bereits die Sonne, aber durch die Hütte auf der Insel Kahkusaari dröhnten weiterhin sentimentale Tangos, als gäbe es kein Morgen.
    Während einer kurzen Pause erklärte Hermanni den Burschen draußen in strengem Ton, dass die Tangoproben seinetwegen bis zum Herbst fortdauern könnten, er selbst aber wolle sich jetzt den Motorschlitten ausleihen und die Patientin ins Gesundheitszentrum fahren. Er verlangte die Schlüssel und versprach, in zwei Tagen zurück zu sein und den Sänger und seinen Begleiter abzuholen.
    »Kommt nicht infrage, dies ist ein Mietschlitten, bezahlt von unserem Geld, wir sind kein öffentlicher Verkehrsbetrieb«, teilte der Sänger mit. Das war zu viel für Hermanni Heiskari, er zog die dicke Angeljacke aus, krempelte die Ärmel hoch und donnerte:
    »Los, kommt her!«
    Diese unkünstlerische Wendung hatten die beiden Musiker wohl schon erwartet, denn sie nahmen die Beine in die Hand, schleppten ihre Taschen und Rucksäcke und das defekte Akkordeon in den Schlitten, starteten ihn und flohen blindlings in die Landschaft. Hermanni Heiskari war von dem ganzen Vorgehen so verblüfft, dass er die Flucht nicht verhindern konnte, obwohl er dem Schlitten fast einen Kilometer über das Eis hinterherlief. So verschwanden Tangosänger und Begleiter auf dem weiten Inarisee, und Hermanni konnte nichts dagegen tun.
    Im Ort Inari angekommen, wandten sich die beiden Musiker an die Polizei und berichteten, dass sie in einer entlegenen Wanderhütte sonderbare Leute angetroffen hätten, die sich gewalttätig aufführten, Kleidung aus Nerzpelzen trugen, furchtbare Stimmen hatten und Unterkünfte, die der Allgemeinheit dienen sollten, für sich allein beanspruchten. Auch hatten sie versucht, armen Künstlern ihr einziges Fahrzeug zu stehlen. Zu allem Überfluss mimten sie die Kranken, unverschämt wie sie waren. Die Bevölkerung sollte sich vor ihnen in Acht nehmen.
    Später stand in der Lokalzeitung eine kurze Meldung, in der es hieß, dass auf dem Inarisee grob gegen das Jedermannsrecht verstoßen worden sei. Die Vorgänge hatten somit derartige Ausmaße angenommen, dass ein Einschreiten der Behörden unbedingt erforderlich sei, damit der Bereich des Sees vor der Willkür von Leuten aus dem Süden geschützt würde. »Diese unfassbaren Rechtsverletzungen, die immer wieder und viel zu oft auf Kosten der örtlichen Bevölkerung begangen werden, dürfen nicht stillschweigend hingenommen werden.«
    Zu Tode erschöpft wuschen sich Hermanni und Lena, aßen gesalzenen Fisch und gingen schlafen. Auf der Ecke des Herdes lag noch Tanelis Mundharmonika, die er beim eiligen Aufbruch vergessen hatte. Hermanni zerquetschte sie vor dem Schlafengehen in seiner Pranke, dass sie in tausend Stücke zerfiel.

3
    Zwei Tage warteten die beiden in der Hütte auf Hilfe, die nicht kam. Das Wetter besserte sich, der Himmel wurde klar, die Sonne brannte und ließ die weite Fläche des Sees schwarz erscheinen. An den Ufern begann das Eis zu schmelzen, stellenweise war auf ein, zwei Meter schon offenes Wasser. Hermanni musste am Ufer einen langen Balken auslegen, um festes Eis erreichen und angeln zu können. Lena lag reglos in der Hütte und stöhnte nur manchmal vor Schmerz. Hermanni fing kleine Forellen, die er in Butter briet, aber die Patientin hatte keinen Appetit. Ihre Stirn fühlte sich heiß an.
    Hermanni schleppte die Gondel des Heißluftballons vom Unglücksort herbei und baute sie zum Schlitten um. Auf dem Dachboden der Hütte fand er uralte und abgenutzte Skier, die immerhin noch als Kufen taugten. Vom Ballon waren zig Meter Seil übrig geblieben, sodass es keine Probleme machte, ein Zuggeschirr zusammenzuknüpfen. Zu guter Letzt stellte Hermanni seinen Angelhocker, der als Sitz dienen sollte, in die Gondel, das kranke Bein der Patientin wollte er mit einem Seil am Gondelrand festbinden.
    Als drei Tage seit der Flucht des Tangosolisten und seines Begleiters vergangen waren, trug Hermanni Lena Lundmark nach draußen aufs Eis und setzte sie in die Gondel. Er lud all sein Gepäck mit hinein, sein Angelzeug, den Proviant (Butter, Brot, Fisch, Salz,
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