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Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch
Autoren: Gerhard Branstner
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die Heilanstalt geschickt. Und damit er sich nicht wieder verirre, begleitete ihn diesmal seine Frau dorthin. Womit ich am Schluß meiner ganz und gar wahrhaftigen und also möglichen Geschichte bin. Und ich möchte wissen, wie unser Schwerenöter ihre Unmöglichkeit beweisen will.«
    »Überhaupt nicht«, sagte Kraftschyk grinsend. »Ich habe nämlich den dringenden Verdacht, daß sich kein anderer als du hinter diesem Doktor Nischel verbirgt. Und in dem Falle ist tatsächlich alles möglich.«
    Die Tafelrunde brach in helles Gelächter aus.
    Der Automatendoktor aber zupfte wütend an seinem fuchsroten Bart und rief: »Ich möchte wissen, was ihr daran so komisch findet!«
    »Du bist erkannt«, sagte der Raumkoch, »das ist immer komisch, wenn er erkannt ist.«
    Fontanelli wurde noch wütender, besann sich aber endlich eines Besseren. »Ich gebe zu«, sagte er, »daß ich selber dieser Doktor Nischel war. Aber jetzt soll auch Kraftschyk verraten, wie er daraufgekommen ist.«
    »Du hast den ganzen Abend nicht an den Fingernägeln gekaut«, erklärte Kraftschyk. »Da das gegen deine Gewohnheit ist, fiel es mir auf.«
    »Dabei wollte ich gerade das Gegenteil erreichen«, sagte Fontanelli. »Da ist es mir wie dem Manne ergangen, der den Groschen unter einer Mark versteckte.«
    Indessen war der Himmelsgärtner aufgestanden, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Da der »Müde Gaul« nicht sehr geräumig war, wanderte Wirsing um den Tisch herum, reckte und streckte seinen mächtigen Körper und ließ sich schließlich wieder auf seinem Stuhl nieder. »Mit dem Gedächtnis«, meinte er, »ist das so eine Sache. Ich kannte mal einen, dem ging es genau umgekehrt wie Fontanellis Nummer 18. Der Mann hatte auch einen Gedächtnisdefekt, aber statt zuviel zu vergessen, vergaß er überhaupt nichts mehr, und auch sein Gefühlsgedächtnis war abnorm. Trauer, Freude, Schreck und dergleichen blieben ihm in der Intensität gegenwärtig, in der er sie im Augenblick des Erlebens gefühlt hatte. Und da immer neue Erlebnisse mit den sie begleitenden Gefühlen hinzukamen, ohne daß die alten abklangen, wurde der Mann auf eine schreckliche Art gemütskrank. Und soviel ich weiß, konnte ihm nicht geholfen werden, und er ist daran gestorben. Da ist es schon besser, wenn einer hin und wieder etwas vergißt, selbst wenn es sein eigener Name ist.«
    »Das ist hin und wieder sogar sehr gut«, meinte Kraftschyk. »Wir sind uns selber niemals neu, wenn wir uns nie vergessen. Ich weiß nicht, wer das mal gesagt hat, aber da ist was Wahres dran. Nichts ist schlimmer als die Gewöhnung an uns selber.«
    Wirsing bewegte zustimmend seinen Krauskopf. »Dagegen ist nichts zu sagen. Und ich wundere mich nur, daß unser Raumkoch nicht sogleich einen seiner eigenwilligen Vergleiche darauf gemacht hat.«
    »Ich grüble schon die ganze Zeit«, sagte Stroganoff, »aber ich treffe den Nagel nicht auf des Pudels Auge.«
    »Welchen Nagel?« fragte Wirsing.
    »Den menschlichen«, sagte Stroganoff.
    »Aber davon ist doch schon lange die Rede nicht mehr.«
    »Ich bin eben ein Mensch, in dem alles lange nachklingt«, erklärte der Raumkoch. »Das ist doch wunderbar, wie so ein harter Nagel aus dem weichen Fleisch wächst. Ihr Leben lang wachsen den Menschen Nägel aus dem weichen Fleisch, zwanzig harte Nägel, aber niemand denkt darüber nach. Wie viele sind schon gestorben, ohne nur einmal darüber nachgedacht zu haben. Ich könnte ein ganzes Leben lang darüber nachdenken.«
    »Das ist doch Blödsinn!« rief Fontanelli, der befürchtete, über Stroganoffs Nagelphilosophie wieder zum Gegenstand des Spottes zu werden. »Ich denke, wir sollten unseren Schwerenöter mit seiner Geschichte zu Worte kommen lassen. Es ist schon spät am Abend.«
    Kraftschyk grinste. »Du brennst sicherlich darauf, mir meine Geschichte madig zu machen. Aber das wird dir nicht gelingen.«
    »Laß das meine Sorge sein«, sagte der Automatendoktor.
    »Um mir das Gegenteil beweisen zu können«, meinte Kraftschyk, »müßtest du zum wenigsten wissen, ob ich eine mögliche oder unmögliche Geschichte beabsichtige.«
    Fontanelli zupfte sich irritiert am Bart. »Ich werde auf beides gefaßt sein.«
    »Das kommt mir sehr entgegen«, sagte Kraftschyk. »Was ich euch jetzt erzählen will, ist nämlich möglich und unmöglich zugleich.«
    »Wieder einer deiner faulen Tricks«, rief Fontanelli, »aber diesmal falle ich nicht darauf herein!«
    »Dann wünsche ich dir Hals- und Beinbruch«, meinte
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