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Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung

Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung

Titel: Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
Autoren: Andreas M. Sturm
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»Du hast mich vorhin in der Polizeidirektion gefragt, weshalb ich zur Mordkommission wechselte. Meine Antwort hat den Hauptgrund ausgelassen. Ich war es einfach leid, machtlos zusehen zu müssen, dass Betrugstäter sich dem Zugriff entziehen, weil sie unerkannt im Ausland sitzen, oder wenn wir sie schon kriegen, sie mit lächerlichen Strafen davonkommen.«
    Nach Sandras Worten breitete sich Schweigen aus. Karin, die sich sonst nicht von Konventionen einengen ließ, war sehr froh, dass sie gerade ihr zweites Brötchen verdrückte, denn mit vollem Mund soll man nicht sprechen. Ihre Gefühle zu dem eben gehörten waren zwiespältig. Zum einen war sie froh, eine so warmherzige und mitfühlende Kollegin zu bekommen, doch zum anderen wusste sie, dass man in diesem Job, in welchem man so oft mit Grausamkeit und widerlichem Verhalten konfrontiert wird, die Dinge nicht so nah an sich heranlassen darf, wenn man nicht zerbrechen will. Auch ihr selbst gelang es nicht immer, den erforderlichen emotionalen Abstand zu wahren. Sie würde ein wachsames Auge auf Sandra haben müssen.
    Doch jetzt rief wieder die Arbeit, sie drückte ihrer Kollegin noch kurz die Hand, sprang aus dem Wagen, entsorgte ihren Abfall und ließ ihre Blicke prüfend über die Gegend schweifen. Dabei stellte sie fest, dass von den Wohnblöcken gegenüber die Tankstelle gut eingesehen werden konnte. Karin rief ihren Chef an, schilderte die vorgefundene Lage, gab die relevanten Daten zum Opfer durch, informierte ihn über die weiteren Schritte, die sie zu unternehmen gedachte, und bat ihn, ein paar Kollegen zum Klinkenputzen zu schicken. Danach klärte sie mit Polizeiobermeister Stein dessen weiteres Vorgehen am Tatort ab.
    »Gut«, sagte Karin zu Sandra. »Das wäre erledigt. Am besten ist es, wenn ich fahre. In dieser Ecke kenne ich mich gut aus, ich wohne in der Gegend. Bist du eigentlich aus Dresden, im Revier bist du mir noch nie aufgefallen?«
    Sandra schüttelte den Kopf: »Ich komme aus Leipzig. Mein Freund hat hier ein Haus. Ich bin vor vier Wochen zu ihm gezogen. In Dresden war ich zuvor nur einmal zu einem Lehrgang.«
    Während Sandra sprach, musste sie sich immer wieder festhalten. Karin fuhr wie immer sehr schwungvoll um die Kurven und hielt sich auch nicht an die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung.
    Bis zu der auf den Visitenkarten gedruckten Adresse war es nicht weit. Sie parkten im Stadtteil Reick vor Plattenbauten.
    Die meisten Fenster starrten verlassen auf sie herunter und die Fassaden der grauen Wohnblöcke vermittelten einen traurigen Eindruck. Die beiden Kriminalistinnen liefen ein kurzes Stück durch einen menschenleeren Innenhof. Krächzend erhob sich eine Krähe, die vom letzten Winter übriggeblieben schien. Auf dem Spielplatz, an dem sie vorbeikamen, hatte schon lange kein Kind mehr bei seinem Zeitvertreib Freude gefunden. Im Sandkasten wucherte das Unkraut schon fast einen Meter hoch. Die einzigen Nutzer des Spielplatzes waren zwei Elstern, die sich um ein Stück Abfall balgten.
    »Das sieht ja aus, als wohnten Gottes vergessene Kinder hier«, sagte Sandra, während sie sich umsah. »Es stehen so viele Wohnungen leer.«
    Karin nickte zustimmend: »Diese Wohnblocks sollen abgerissen werden. Auf der anderen Straßenseite, dort wo das Einkaufszentrum steht, sieht es besser aus, aber hier ist nicht mehr viel los.«
    Sandra nickte zustimmend. »Nicht viel los ist untertrieben. Hier ist es wie in einer Geisterstadt. Leben möchte ich hier nicht.«
    »Ich könnte mir schon vorstellen, dass das Leben in so einem leeren Block einen gewissen Reiz in sich birgt. Keiner der lärmt und ein wenig gruselig ist es bestimmt auch.« Karin sagte dies nicht im Scherz, eher nachdenklich und ein wenig melancholisch. Sandra schaute ihre Vorgesetzte prüfend an, Karin wirkte schon ein wenig traurig auf sie. Was mag sie wohl für Gründe haben, dass sie Einsamkeit reizvoll findet, fragte sie sich. Als sie zwei Türme in der Ferne erblickte, fragte sie Karin danach, teils aus Interesse, aber auch weil sie ihre Partnerin aus der Düsternis ihrer Gedanken holen wollte.
    »Das ist die Christuskirche von Strehlen«, gab Karin Auskunft. »So, und hier ist unser Ziel, die Hausnummer ist zwar nicht mehr vorhanden, da der Glaskörper in Scherben liegt – sicher von einem Wurfgeschoss zerschmettert – aber laut Reihenfolge sind wir richtig.«
    Das Haus zu betreten war kein Problem. Die Haustür, die statt Glasscheiben Pappen in den Rahmen hatte, stand weit offen.
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