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Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)

Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)

Titel: Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Autoren: Uwe Hück
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wohl bewusst, dass er aber zu einer derart brutalen Gangart fähig sein würde, war mir neu. Wir legten los, die ersten Haken wurden gesetzt, das Schnaufen wurde lauter. Die anderen Kinder aus meinem Haus feuerten mich, ihren Anführer, an. So, wie Winnetou von seinen Apachen unterstützt worden war. Was konnte jetzt noch schiefgehen? Es war wohl ein Moment der Unachtsamkeit, als mich eine schnelle Rechts-Links-Kombination am Kopf erwischte. Ich schwankte, verlor mein Gleichgewicht und ging zu Boden. Nicht auf die Knie,nicht auf die Seite, ich lag da flach auf dem Rücken, nicht k.o., aber angeschlagen. Als ich gerade überlegte, wie ich aus dieser ungeschützten Position herauskommen könnte, sah ich dieses große braune Ding in den Händen meines Gegners näherkommen. Ein großer Holzblock, mit dem er mich gleich erwischen würde! »Der Typ da würde mich umbringen! Das hier ist kein Spaß! Der macht ja ernst!«, schoss es mir durch den Kopf. Ein Reflex, eine blitzschnelle Drehung meines Kopfes, eine halbe Körperdrehung, dann schlug der Klotz dumpf auf dem Rasen unseres Sportplatzes ein, genau dort, wo gerade noch mein Kopf gelegen hatte. An den Rest dieses Tages kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Auch nicht, dass es danach noch einmal zu einer vergleichbaren Brutalität gekommen ist. Die Erzieherinnen müssen von unseren Kämpfen gewusst haben, aber sie waren machtlos dagegen. Was hätte die gute Schwester Ruth, die die Verantwortung für mein Haus hatte, denn auch machen sollen, wenn wir am Abend mit unübersehbaren Blessuren in die Häuser zurück schlichen? Dreckig, blutend, manchmal auch mit einer schiefen Nase. Beim Lesen konnte das nicht passiert sein.
    Nicht alles, was in meiner Jugend in den Heimen geschehen ist, habe ich verdrängt. Warum auch? Es gab Tage, die ich zu meinen glücklichen zähle. Wahrscheinlich waren sie sogar entscheidend für den weiteren Verlauf meines Lebens. Eine Frage, die ich mir heute häufig stelle, lautet: »Was wäre aus mir geworden, wenn ich diesen Menschen nicht getroffen hätte?« Da gab es diesen Lehrer, dessen Namen ich leider vergessen habe. Er lud mich eines Tages zu sich nach Hause ein, ein ganzes Wochenende. Mich, diesen Sozialfall, den schwer Erziehbaren! Ich weiß noch, wie misstrauisch ich war, als ich klingelte. Was wollte er von mir? Wir setzten uns an den gedeckten Tisch und ich machte eine ganz neue Erfahrung.Man kann essen und sogar satt werden, ohne vorher darum kämpfen zu müssen. So friedlich, so entspannt! In der Schule hatte dieser Lehrer erkannt, dass es Bereiche in meiner Persönlichkeit gab, die nie gefördert worden waren. Er muss entdeckt haben, dass ich hinter einer Fassade aus Verweigerung, Ablehnung und Gewalt Schutz gesucht hatte. Er muss gespürt haben, dass ich das Zeug hatte, mehr zu sein als nur ein Sonderschüler. Er begann, mit mir zu lernen und dieser Nachhilfeunterricht gefiel mir wider Erwarten. Dieser Lehrer nahm mich ernst. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, etwas wert zu sein. Einmal sagte er einen Satz, den ich auch heute noch zum kleinen Schatz meiner Lebensweisheiten zähle: »Du bist nicht dumm, du bist nur auffällig und wenig gefördert worden«.
    Er vermittelte mir sehr bald das Wissen, um auf die Hauptschule zu wechseln. Dort ging alles rasend schnell, ich hatte ja schließlich auch etwas nachzuholen. Zahlen und Buchstaben, die mir bisher meist eine Qual waren, wurden plötzlich zu meinen Freunden, weil ich sie mit einer Funktion verbinden konnte. Ich sah einen Nutzen in dem, was ich tat. Es lohnte sich, zu lernen und ich lernte schnell. Ich begriff zum ersten Mal, dass aus Wissen Macht werden konnte. Von Tag zu Tag entwickelte ich mehr Energie, es konnte mir nicht mehr schnell genug gehen, ich erhöhte die Drehzahl. Ich übersprang eine Klasse und schaffte schließlich meinen Hauptschulabschluss mit einer sehr guten Durchschnittsnote, vor allem Mathe war meine Stärke. Dieser Lehrer – und ich benutze diese Bezeichnung in des Wortes bester Bedeutung – hatte mich auf einen neuen Weg geschubst. Den Kontakt zu ihm habe ich leider verloren. Vielleicht war es ja der Herr, der mal an unser Sekretariat geschrieben hat und dabei leider eine inkorrekte Adresse hinterlassen hat? Mein Antwortbriefjedenfalls kam ungeöffnet zurück. Heute, da ich es zu einer bescheidenen Popularität gebracht habe, schreiben mir viele Menschen, die behaupten, mich von früher zu kennen. Nicht alle würde ich unbedingt
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