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Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)

Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)

Titel: Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Autoren: Uwe Hück
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erste große Krise geriet. Es ging mir schlecht zu dieser Zeit und es war niemand da, der mir hätte helfen können. Zum ersten Mal kamen Selbstmordgedanken auf. Wozu weitermachen in dieser Hölle? Einen Sinn in meinem jungen Leben hatte ich noch nicht erkennen können. Die Situation schien aussichtslos: Hast du versucht, mit den Erziehern zu sprechen, hatten sie keine Zeit für dich. Bist du in dein Zimmer gekommen, hast du Prügel bezogen von deinen Mitbewohnern.
    Ich glaube, in dieser Zeit hatte ich dieses kindlich-naive Versprechen abgegeben, an das ich mich heute immer wieder erinnern muss. Ich sprach mit Gott. Was ich damals als Achtjähriger nicht mal ahnen konnte, sollte eine Maxime meines weiteren Lebens werden. Noch heute halte ich mich streng an dieses Gelübde von damals. Die bescheidene Heimpädagogik, die uns täglich traktierte, hatte ihre Wurzeln in christlichen Grundsätzen. Auch wenn es fast wie Hohn erscheinen mag: In dieser oft feindseligen Umgebung hatten die Erzieher uns mit Gott bekannt gemacht. Wir mussten das alte und das neue Testament lesen und so wusste ich von der möglichen Existenz eines Gottes, obwohl ich kaum lesen konnte. In meiner kindlichen Fantasie suchte ich einen Verbündeten und da kam mir Gott gerade recht. Ich schaute zum Himmel und sagte: »Wenn es dich da oben wirklich geben sollte, dann sieh zu, dass ich groß und stark werde, damit ich mich um diesen Mist hier kümmern kann.« Heute habe ich den christlichen Glauben für mich längst durch die Lehren und Weisheiten Buddhas erweitert. An mein Versprechen Gott gegenüber aber halte ich mich immer noch.
    Am Nikolaustag 2010 war ich wieder im Heim. Nicht dort, wo ich damals meine schlimmste Zeit hatte und wo ich Gott zu meinem Kumpel in der Not machte. Nein, mich zieht es jedes Jahr in den Sperlingshof, meine letzte Station, das letzte der drei Heime. Ich hatte Geschenke dabei, ein Paket für jeden der 60 Jugendlichen. Und einen Batzen Geld aus der Wiedeking-Stiftung: 42000 Euro für die Sanierung des Brunnens. Seitdem komme ich jedes Jahr zurück in den Sperlingshof und bei jedem Besuch spüre ich diese starke innere Verbundenheit mit den Kindern und Jugendlichen. Da gibt es eine tiefe, beiderseitige Sympathie und die hat nichts zu tun mit dem Wert der Geschenke. Sie wissen: Da kommt einer von ihnen, der es geschafft hat. Der ihnen zeigt, in welchem Zimmer er gewohnt hat. Der ihnen sagt, wie er es geschafft hat. Dieses Jahr haben die Kinder und Jugendlichen mich in meinem alten Heim mit diesem Gedicht begrüßt:
    Es rauscht der Wind im Winterwalde
    durch die kühle graue Flur
    und ein Jeder hofft, schon balde
    find’ er St. Nikolauses Spur.
    Ja heut, da jähret sich der Tag,
    an dem Besuch im Sperlingshof ward angesagt.
    Ob Wiedeking und Hück auch wirklich kommen mag,
    das haben wir uns oft gefragt.
    Ach, wann wird er endlich kommen,
    dieser heiß ersehnte Gast?
    Kinder blicken teils benommen
    von Baum zu Baum, von Ast zu Ast.
    Sie waren da und kommen wieder
    am Nik’laustag wie letztes Jahr.
    Heut sangen wir auch Nikolauslieder
    und finden dies nur wunderbar.
    Mir gefiel dieses Gedicht, doch für meinen stärksten emotionalen Moment sorgte in diesem Jahr ein Junge, der mich am Ende zur Seite nahm und sagte: »Wissen Sie, was für mich das Schönste heute war? Nicht dass Sie Geschenke vorbeigebracht haben, sondern dass Sie persönlich da waren!« Ich erzählte dem Jungen von meinem Versprechen gegenüber Gott und erinnerte mich wieder an diese schlimme, ausweglose Zeit. Ich glaube, ich bin wirklich stärker geworden damals. Auch wenn ich es damals noch für einfacher hielt, mein Leben zu beenden als diesen täglichen Kampf weiterzukämpfen.
    Wenn ich in diesem Heim also nicht untergehen wollte, musste ich lernen, die Schwächen der Älteren und Stärkeren zu erkennen. Ich wollte sie blitzschnell ausnutzen, wenn die Zeit gekommen war. Je stärker ich wurde, desto leichter fiel es mir, mich zu wehren. Ich lernte schnell. Aber ich wurde aggressiver, sicherlich auch als Folge der permanenten Unzufriedenheit mit meiner Situation. Ich war bald bekannt für meinen rustikalen Umgang mit dem Hausmobiliar. Türklinken brauchte ich nicht, durch einen gezielten Tritt aus dem Lauf heraus öffneten sich die Türen viel eindrucksvoller. Ich spürte, wie ich Macht auf bauen konnte. Mich nur zur Wehr zu setzen, war mir nicht mehr genug. Ein Tritt oder ein präziser Schlag verschafften mir Respekt und Vorteile in dieser Umgebung, in die
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