Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Voll im Bilde

Voll im Bilde

Titel: Voll im Bilde
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
Hüter von einer Hohepriesterin ins Amt eingeführt werden«, erwiderte er. »Aber schon seit vielen tausend Jahren gibt’s keine Hohepriesterinnen mehr. Ich hab alles vom alten Tento gelernt, der hier vor mir lebte. Eines Tages sagte er zu mir: ›Deccan, ich glaube, ich sterbe jetzt. Du mußt meine Nachfolge antreten, denn wenn sich niemand daran erinnert, beginnt alles noch einmal von vorn, und du weißt ja, was das bedeutet.‹ Tja, mir blieb gar nichts anderes übrig. Aber von einer richtigen Amtseinführung kann wohl kaum die Rede sein, wenn du mich fragst.«
    Er sah den sandigen Hügel hinauf.
    »Es gab nur ihn und mich«, fuhr Deccan fort. »Und dann war nur noch ich hier, um mich an den Heiligen Wald zu erinnern, an Holy Wood. Und jetzt…« Er hob die Hand zum Mund.
    »Oh-oh«, stöhnte er.
    JA, bestätigte der Tod.
    Es wäre falsch zu sagen, daß Panik über Deccan Ribobes Gesicht huschte, denn das lag in diesem Augenblick mehrere Meter entfernt in der Hütte und zeigte ein erstarrtes Grinsen, als hätte es endlich einen komplizierten Witz verstanden. Doch in Deccans Geist keimte Besorgnis und reifte schnell heran.
    »Weißt du, die Sache ist die«, sagte er hastig. »Hier kommt nie jemand vorbei, außer den Fischern aus der nächsten Bucht, weißt du, und die bringen nur Fisch und verschwinden sofort wieder, wegen des Aberglaubens, weißt du, und ich konnte doch nicht losziehen, um einen Lehrling zu suchen, weil ich mich um das Feuer kümmern und Beschwörungen singen mußte…«
    JA.
    »Es ist eine ganz schöne Verantwortung, wenn man Pflichten erfüllt, die niemand anders wahrnehmen kann…«
    JA, sagte der Tod.
    »Nun, du kennst das ja…«
    IN DER TAT.
    »Ich meine, ich habe mir den einen oder anderen Schiffbrüchigen erhofft, vielleicht auch einen Schatzsucher oder so. Ich hätte sie alles gelehrt, was mich der alte Tento damals gelehrt hat. Ich hätte ihnen die Beschwörungsgesänge beigebracht und vor meinem Tod alles geregelt…«
    JA?
    »Äh, ich nehme an, es ist nicht möglich, daß ich…«
    NEIN.
    »Dachte ich mir«, murmelte Deccan niedergeschlagen.
    Er sah zu den Wellen, die unermüdlich an den Strand rollten.
    »Dort unten gab’s eine große Stadt, vor Jahrtausenden«, sagte er. »Ich meine, wo sich jetzt das Meer erstreckt. Wenn’s stürmisch ist, kann man hören, wie die alten Glocken läuten, unten am Grund.«
    ICH WEISS.
    »Wenn abends der Wind wehte, bin ich manchmal nach draußen gegangen, um zu lauschen. Habe mir vorgestellt, wie tief unten im Meer Tote die Glocken läuteten.«
    UND JETZT MÜSSEN WIR GEHEN.
    »Der alte Tento meinte, im Hügel lauere etwas, das die Leute beeinflußt, ihnen Flausen in den Kopf setzt«, brummte Deccan. Widerstrebend folgte er der schwarzen Gestalt. »Ich hatte nie irgendwelche Flausen im Kopf.«
    WEIL DU BESCHWÖRUNGEN GESUNGEN HAST, entgegnete der Tod und schnippte mit den Fingern.
    Ein Pferd wandte sich vom spärlichen Dünengras ab und trabte dem Tod entgegen. Deccan nahm verblüfft zur Kenntnis, daß die Hufe Spuren im Sand zurückließen. Er hatte Funken erwartet, oder zumindest geschmolzenen Fels.
    »Äh«, begann er. »Kannst du mir sagen, was, äh, jetzt passiert?«
    Der Tod verriet es ihm.
    »Dachte ich mir«, kommentierte er kummervoll.
    Auf dem niedrigen Hügel brannte ein Feuer, aber die Flammen wurden immer kleiner. Einige glühende Holzreste blieben übrig.
    Sicher dauerte es nicht mehr lange, bis nur noch Asche daran erinnerte.
    ….
    …
    .
    .
    Die letzte Glut erlosch.
    .
    .
    …
    ….
    Einen Tag lang geschah überhaupt nichts. Dann bewegte sich etwas an der Seite des unheilvollen Hügels: Einige Sandkörner rieselten nach unten, und ein winziges Loch entstand.
    Etwas kam daraus hervor. Etwas Unsichtbares. Etwas Fröhliches, Selbstsüchtiges und Wundervolles. Etwas, das ebensowenig Substanz hatte wie eine Idee. Und genau darum handelte es sich: um eine ungebändigte Idee.
    Sie war so alt, daß sich ihr Alter mit menschlicher Zeitmessung nicht bestimmen ließ. Von Erinnerungen und Bedürfnissen begleitet kroch sie aus der kleinen Öffnung. Die Idee entsann sich des Lebens in anderen Epochen und anderen Universen. Sie brauchte… Personen.
    Sie stieg auf, den Sternen entgegen, veränderte ihre Gestalt und kräuselte sich wie Rauch.
    Lichter schimmerten am Horizont.
    Die Idee mochte Lichter.
    Sie beobachtete eine Zeitlang das Funkeln, bevor sie sich streckte und wie ein unsichtbarer Pfeil zur Stadt sauste.
    Sie mochte nämlich auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher