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Voll das Leben (German Edition)

Voll das Leben (German Edition)

Titel: Voll das Leben (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Frauen zu plaudern. Ich weiß, dass er einen Mann geliebt hat, der tot ist und dass er einen gut bezahlten Job in einer Webdesign-Firma verloren hat. Mehr weiß ich nicht über sein altes Leben. Sag du es mir, Niklas Wöhrner: Vor was ist Jan weggelaufen? Warum leidet er immer noch so sehr, dass er nicht glücklich leben kann? Sag es mir, und ich gebe dir seine Adresse.“
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Ferrit an – woher kannte der seinen Namen? Doch er schluckte alle Fragen herunter und begann in Kurzform zu erzählen.
    Wie Dennis in ihre kleine Firma kam und Jan sich sofort in ihn verliebt hatte. Wie glücklich die beiden gewesen waren und zusammen mit Kevin und Thorsten viel Zeit verbracht hatten – ohne ihn, Nick. Wie er immer wieder mit Dennis zusammengestoßen war, den er tatsächlich regelrecht gehasst hatte. Wie er immer bösartiger zu den beiden wurde, ohne zu wissen warum – es hatte sich mit der Zeit verselbständigt und er konnte auch nicht aufhören, als Dennis todkrank wurde. Wie er immer wieder kündigen wollte und es nicht konnte, weil er Jan dann nicht mehr sehen würde. Wie er Jans Zusammenbruch hinnehmen musste, weil er einfach nicht wusste, wie er ihm helfen sollte. Wie er ihn auf dieser Brücke gefunden und in die Flucht geschlagen hatte, statt ihn zu retten.
    Ferrit hörte ihm die ganze Zeit über aufmerksam zu. Erst als Nick verstummte und ein Gebäckstück zwischen den Fingern zerkrümelte, erhob er wieder das Wort:
    „Warum hast du ihm nie gesagt, dass du ihn liebst?“
    Nick zuckte zusammen wie unter einem Schlag.
    „Und bist du jetzt hier, um es ihm zu sagen?“
    „Ich konnte nicht!“, stammelte Nick verstört. „Bis ich soweit war, hatte sich Dennis schon … Ich hab den beiden so viel Böses gesagt. Niemand weiß davon, ich habe doch alle glauben lassen, dass ich Schwule hasse. Vor allem Jan sollte es nicht wissen. Wenn ich mich … Jan würde mich sowieso abweisen.“
    Er atmete zittrig durch, zutiefst beschämt, es überhaupt ausgesprochen zu haben. Wie hatte er sich so gehen lassen können?
    Einige Minuten herrschte Schweigen. Dann wurden Schritte laut, die Küchentür öffnete sich – und Jan kam herein.
    Erschrocken sprang Nick auf, ohne zu wissen, wie er jetzt reagieren sollte. Jan starrte ihn entsetzt an, blickte hektisch zwischen ihm und Ferrit hin und her, während sein Gesicht jegliche Farbe verlor. Fahrig wühlte er in seiner Jackentasche herum.
    Nick war fasziniert, wie anders Jan aussah. Alles Weiche war verschwunden, er besaß nun eine athletische Figur mit schlanken Muskeln, ausgeprägten Oberschenkeln und schmalen Hüften. Er war von der Sonne gebräunt, seine früher wuscheligen Haare raspelkurz geschnitten. Es stand ihm gut, er wirkte männlicher und ein wenig älter dadurch. Das Schönste aber war die Lebenskraft, die in seinen braunen Augen leuchtete.
    „Hier!“ Jan trat auf ihn zu und drückte ihm Geld in die Hand. Irritiert blickte Nick auf den zerknitterten Zwanziger und die Münzen.
    „24,80. Den Rest bringe ich dir so schnell wie möglich. Deswegen bist du doch hier? Verzeih bitte, ich hatte es vergessen, sonst hätte ich es längst zurückgezahlt.“
    Abrupt wandte er sich von ihm ab.
    „Mariam sagte, du hättest noch eine dringende Lieferung?“
    Ferrit nickte und nannte ihm eine Adresse.
    „Hoşça kalın“, murmelte Jan und rauschte aus der Küche heraus.
    „Das bedeutet ‚Auf Wiedersehen’. Er hängt wohl zu viel bei uns herum.“ Ferrit schmunzelte, während Nick wie festgefroren dastand und auf die Tür starrte.
    „Wie viel schuldet er dir?“, fragte Ferrit, nun wieder ernst.
    „Was? Oh – gar nichts. Ich hab keine Ahnung, was er meint, ich kann mich nicht erinnern, ihm jemals Geld geliehen zu haben.“
    Ferrit nickte nachdenklich vor sich hin. Langsam sagte er:
„Weißt du, Jan ist ein guter Junge. Naiv und unschuldig in mancher Hinsicht, aber nicht dumm. Er weiß, dass wir ihn beschützen. Ich habe keine Angst, ihn nachts fahren zu lassen, jeder in diesem Viertel weiß, der Deutsche fährt für mich und ist tabu. Niemand schlägt ihn zusammen, raubt ihn aus oder verschleppt ihn. Er mag schon recht alt sein für den Markt, trotzdem, sein Typ ist mancherorts gefragt.“
    Nick lief es eisig über den Rücken, als ihm die Bedeutung von Ferrits Worten klar wurde. Das hier war die andere Welt, die er bloß aus Film, Fernsehnachrichten und Zeitung kannte. Gott im Himmel, waren das wirklich nur Briefe, die Jan durch die Gegend
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