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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben
Autoren: K. L. Going
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Potenzial. Das weiß ich genau. Das wusste ich von dem Moment an, als du dieses Mobilheim betreten hast. Und es macht mir verdammt viel aus, wenn du dein Leben wegwirfst. Du bist doch mein Neffe, verflucht noch mal. Ich hab dich lieb.«
    Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wann mir das letzte Mal jemand gesagt hat, dass er mich lieb hat.
    »Aber Dad tut es nicht? Ist es das, was du damit sagen willst?«
    Tante Petes Gesicht verzerrt sich, doch dann holt er tief Luft.
    »Ich habe nie gesagt, dass dein Vater dich nicht liebt.«
    Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar. Es ist heiß im Mobilheim, und die Luft ist so schal, dass ich kaum atmen kann.
    »Ich weiß nicht, wann sich die Dinge im Leben deines Vaters geändert haben«, sagt Pete, »aber irgendwann ist es passiert. Dein Vater wollte deine Mutter aus lauter falschen Gründen heiraten, und sie wollte ihn aus lauter falschen Gründen heiraten, und dann hat er es an euch beiden ausgelassen ...«
    Die Sache hat das Höchstmaß an Unerträglichkeit längst überschritten.
    »Ich will nicht darüber reden. Du weißt überhaupt nichts. Dad liebt sie. Uns . Du schiebst bloß einen Hass auf ihn, weil er die Band nicht ausstehen kann.«
    Pete schließt die Augen.
    »Hat Allan dir das erzählt?«, fragt er. »Dass wir wegen der Band nicht mehr miteinander reden?«
    Ich schüttele den Kopf. »Nein«, sage ich. »Dad hat das nie gesagt. Es war Mom, die das gesagt hat.«
    Diesmal wirkt Pete überrascht. Er fährt sich mit der Hand über das stoppelige Kinn.
    »Dein Vater redet nicht mehr mit mir, weil ich deiner Mutter gesagt habe, sie solle ihn verlassen«, sagt er unvermittelt. »Es hatte nichts mit der Band zu tun. Noch nie. Es hat damit zu tun, wie er euch beide behandelt.«
    Ich beiße mir auf die Lippe.
    »Das ist nicht wahr«, sage ich schließlich. »Er behandelt uns nicht ...«
    Tante Pete beugt sich über den Teppich. »Ehrlich, Liam, ich habe noch nie verstanden, warum deine Mutter es zulässt, dass er sie so behandelt, und ich verstehe nicht, warum du zulässt, dass er dich genauso behandelt. Das habe ich nie kapiert.«
    Meine Hände fangen an zu zittern.
    »Verschwinde«, flüstere ich.
    Stattdessen rutscht Tante Pete näher, bis er direkt vor mir sitzt.
    »Nein«, sagt er. »Das habe ich schon einmal gemacht. Das mache ich nie wieder.«
    »Lass mich in Ruhe«, wiederhole ich. »Bitte.«
    »Nein«, beharrt Pete. »Das tue ich nicht, denn du bist ein toller Junge, und in den letzten fünf Wochen habe ich zugesehen, wie du versucht hast, dich in einen anderen zu verwandeln. Vielleicht in deinen Vater? Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß, ist, dass du immer dann, wenn du in etwas erfolgreich bist, sagst, es sei wertlos, und dass du immer dann, wenn du etwas vermasselst, es einen Zufall nennst. Doch so viele Zufälle gibt es im Leben nicht.
    Ich hätte nie zulassen sollen, dass deine Eltern mich aus deinem Leben verbannen, aber ich habe es zugelassen, und es war ein Fehler ... Wenn du also glaubst, ich würde dich noch einmal gehenlassen, dann irrst du dich gewaltig. Hast du verstanden? Es gibt nichts, was du tun kannst, um mich dazu zu bringen, dich wegzuschicken. Keine Party und keine Gefängniszelle, keine blöde Radiosendung und noch nicht mal, dass du dich in der Schule betrinkst oder mitten im Englischunterricht meines Freundes einfach gehst.«
    Er hält meine Hand fest.
    »Dein Vater irrt sich, Liam. Er glaubt, er könnte dich behandeln, wie er will, und du würdest dich nie dagegen wehren. Er glaubt, er sei besser als du, weil er einen angesehenen Job hat, aber das heißt nichts. Gar nichts. Er hat nicht das Recht, so mit dir zu reden, wie er es tut. Niemals. Und er hat verdammt noch mal nicht das Recht, dir zu sagen, du sollst zur Army gehen. Das ist wirklich das Allerletzte.«
    Tante Pete atmet ein paar Mal tief ein, aber ich sage nichts. Mir tut die Brust weh, weil ich so nach Luft japse. Die Jungs sind gegangen, und Pete und ich sind allein. Nun steht er auf.
    »Ich gehe jetzt ins Wohnzimmer, damit du ein paar Minuten allein sein kannst«, sagt er. »aber weiter gehe ich nicht. Hast du das verstanden? Ich habe mich für heute Abend krank gemeldet, also gehe ich nirgendwohin, und wenn du so weit bist, dann komm ins Wohnzimmer, denn ich will mit dir reden.«
    Dann verlässt er das Zimmer. Er lässt die Tür auf, und ich möchte den Arm ausstrecken und sie zumachen, aber ich schaffe es nicht.

49
    ICH WARTE BIS DREI UHR MORGENS, dann
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