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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild
Autoren: Richard Auer
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sich im
Keller des Gebäudes. An den beiden Längsseiten reihten sich alte, verschrammte
Holzspinde aneinander. Es roch nach Mottenkugeln. Zwei Neonlampen tauchten den
Raum in kaltes, grelles Licht. Fünf Beamte der Eichstätter Inspektion waren
bereits anwesend und probierten ihre Festuniformen an. Neben dem
Inspektionsleiter Manfred Huber kannte Morgenstern noch zwei Kollegen vom
Volleyball.
    »Nur über meine Leiche!«, rutschte es dem
Oberkommissar raus, als er das wichtigste und auffälligste Kleidungsstück für
den Einsatz am kommenden Tag sah: Es war ein weit über die Knie reichender
Mantel mit knisternder Kunststoffoberfläche und einem mächtigen Kragen aus
künstlichem braunem Pelz. »Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich mich mit so
etwas auch nur für eine Minute auf der Straße sehen lasse? In all meinen
Dienstjahren in Nürnberg habe ich so ein Ding noch nicht gesehen. Das ist doch
wieder typisch für Eichstätt. Ich sage es meiner Frau immer wieder: Hier ist
die Zeit stehen geblieben.«
    Huber, der gerade in einem der Spinde herumwühlte,
drehte sich um, als er Morgensterns Stimme hörte: »Ja, der Kollege Morgenstern
ist auch endlich da! Grüß dich! Warum regst du dich denn so auf?«
    »Nie im Leben ziehe ich so ein Ding da an!«, verkündete
Morgenstern voller Überzeugung und deutete auf den grünen Mantel.
    »Aber, aber! Das ist ein Parademantel der Bayerischen
Polizei.« Huber lächelte milde und tippte dabei auf das am rechten Ärmel
aufgenähte Staatswappen. »Er ist zwar nicht mehr ganz neu, aber bei uns immer
pfleglich behandelt worden. Der ist noch tipptopp, dem fehlt es an nichts.«
    »Und ich dachte, die wären alle schon vor dreißig
Jahren in die Altkleidersammlung gewandert«, spottete Morgenstern. »Hör doch
bloß mal, wie der knistert. Ist alles aus Plastik.« Theatralisch ergriff er den
rechten Ärmel des Mantel-Ungetüms, schüttelte ihn, als würde ein leibhaftiger
Polizeibeamter drinstecken, und lästerte: »Guten Tag, Oberkommissar Morgenstern
mein Name, schönen Mantel haben Sie da an, vielleicht ein bisschen warm für die
Jahreszeit …«
    »Nun mach hier mal kein Theater. Auch wenn du noch neu
bist, gibt es keinen Grund, sich so anzustellen«, reagierte Huber beleidigt.
»Wir anderen tragen das Ding schließlich auch, ohne dass wir uns deswegen Flöhe
einfangen.« Tröstend fügte er hinzu: »Ist ja nur für ein paar Stunden. Und
repräsentativ ist der Mantel auf alle Fälle.«
    Morgenstern traute seinen Ohren nicht. »Repräsentativ?
Ihr spinnt doch total. Solche Mäntel hatte früher die Gestapo an!«
    Da war sie wieder, seine berühmte große Klappe, die
ihm in seinem Leben schon so viel Ärger eingebrockt hatte. Bereits in der
Zehntelsekunde, in der ihm das Wort herausgerutscht war, hatte er es bereut.
Doch es war zu spät.
    Hauptkommissar Huber räusperte sich kurz, dann sagte
er in einem Ton, der keinerlei Diskussion mehr zuließ: »Mike, du ziehst diesen
Mantel an wie jeder andere von uns auch, und dann will ich kein Wort mehr
hören. Und merk dir zwei Dinge: Wir machen keine Modenschau, und wir sind hier
nicht in Nürnberg.«
    Das hatte gesessen. Huber wandte sich einem Spind zu,
pflückte einen froschgrünen Mantel heraus und reichte ihn seinem Kollegen.
Gehorsam probierte Morgenstern das Kleidungsstück an.
    »Größe zweiundfünfzig passt! Das habe ich mir gleich
gedacht«, sagte Huber.
    Morgenstern schwieg. Wie ein grüner Nikolaus!, dachte
er, aber zum Glück behielt er die spontane Assoziation diesmal für sich.
Zufrieden klopfte Huber dem Kollegen auf die Schulter, was augenblicklich ein
leises Knistern auslöste, und verkündete geradezu euphorisch: »Sechs
Polizeibeamte, wie sich das gehört. Eine ordentliche Ehrengarde für das
Allerheiligste. Treffpunkt ist morgen, Punkt sieben Uhr vor dem Dom. Und
vergesst die weißen Handschuhe nicht.« An Morgenstern gewandt fügte er noch
hinzu: »Die Strecke ist ziemlich lang, deshalb empfehle ich dir bequeme Schuhe.
Aber dem Anlass angemessen, also komm mir bloß nicht in deinen Cowboytretern.«
    »Gelobt sei Jesus Christus«, gab Morgenstern spöttisch
zurück. In dieser sonderbaren Situation wollte er dann doch das letzte Wort
haben.
    Aber er hatte sich zu früh gefreut. »In Ewigkeit.
Amen«, kam von Manfred Huber trocken die katholisch-korrekte Antwort.

VIER
    Die aufgehende Sonne des nächsten Morgens
sah einen Oberkommissar Mike Morgenstern, wie er sich der Welt zuvor noch nie
präsentiert hatte. In dem
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