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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Während sich meine Stimme im Gebrüll überschlug, tastete ich suchend im Dunkeln, bis ich mein Schwert fand. Dann tänzelte ich ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen, und wagte den Sprung! Vorbei an den Speeren flog ich und fand mich auf dem Boden der Kirche wieder, wo Ursula mit glitzernden Tränen auf den Wangen vor dem Altar hockte. Sie schob sich rückwärts gegen das rote Blumenmeer, das im einfallenden Ster-nenlicht kaum zu erkennen war.
    »Nein, Vittorio, töte mich nicht, bitte nicht. Nein«, schluchzte und jammerte sie, »ich bin noch ein Kind wie du, bitte nicht.«
    Ich zerrte an ihr, und sie drängte sich ans hinterste Ende des Allerheiligsten. Wutentbrannt schlug ich mit dem Schwert gegen das Standbild des Luzifers. Es schwankte, dann fiel es krachend um und zerbarst auf dem Marmorboden des Allerheiligsten.
    Ursula blieb schwankend stehen. Dann fiel sie auf die Knie und streckte mir die Hände entgegen, dabei schüttelte sie den Kopf, dass ihr Haar wild hin und her schwang.
    »Töte mich nicht, töte mich nicht, bitte nicht. Du ver-dammst mich zur Hölle, wenn du mich tötest. Bitte, tu's nicht!«
    »Du erbärmliches Ding!«, stöhnte ich immer wieder. Ich weinte nicht weniger heftig als sie. »Ich habe Durst, du Ungeheuer. Ich habe Durst, und ich kann sie bis hierher riechen, die Sklaven in der Hürde, ich kann sie riechen, ich rieche ihr Blut! Sei verdammt!«

    Auch ich war auf die Knie gesunken. Nun ließ ich mich auf die marmornen Fliesen fallen und trat und stieß mit den Füßen die Bruchstücke der scheußlichen Statue bei-seite. Mit dem Schwert hangelte ich nach den Spitzen des Altartuchs, bis ich es mitsamt den unzähligen roten Blüten herabgerissen hatte. Sie ergossen sich über mich, und ich wälzte mich in den Blumen und presste mein Gesicht in die weichen Blätter.
    Schweigen legte sich über uns! Ein Schweigen, das nur von meinem Wimmern unterbrochen wurde. Ich konnte fühlen, wie stark ich war, selbst im Klang meiner Stimme spürte ich die Kraft, spürte sie an der Mühelosigkeit, mit der ich das Schwert hielt, ohne zu ermüden, merkte es daran, dass ich so ruhig auf dem Boden lag, der doch für mich schmerzhaft kalt hätte sein müssen. Doch das war nicht so, er war höchstens angenehm kalt.
    Oh, sie hatte mir einen mächtigen Körper geschenkt.
    Ein Duft überwältigte mich. Ich hob den Kopf. Sie stand unmittelbar über mir, zärtlich, liebevoll, das Licht der Sterne schimmerte in ihren glänzenden Augen, die still und urteilslos blickten. In den Armen hielt sie ein kleines Menschenkind - einen kleinen geistesschwachen Jungen, der nicht einmal merkte, in welcher Gefahr er schwebte.
    Wie rosig und üppig er war, fast wie ein knuspriges Span-ferkelchen, mundgerecht serviert, und wie heiß doch sein sterbliches Blut wallte. Sie setzte ihn vor mich hin. Er war nackt, hatte magere Hinterbäckchen und hockte auf den Fersen; seine rosige Brust bebte, und sein langes schwarzes Haar schmiegte sich sanft um das arglose Gesichtchen. Er schien vor sich hin zu träumen oder auch suchend ins Dunkel zu starren. Vielleicht hielt er nach Engeln Ausschau?
    »Trink«, sagte Ursula, »trink von ihm, Liebling, und danach wirst du die Kraft haben, mich zu dem guten Pater zur Beichte zu geleiten.«
    Ich lächelte. Mein Verlangen nach dem kleinen schwachsinnigen Jungen vor mir war kaum zu ertragen. Aber wenn es darum ging, was ich ertragen konnte, hatte ich ja wohl ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen, nicht wahr? Also ließ ich mir Zeit. Ich richtete mich auf den Ellenbogen auf und sah Ursula an. »Zu einem Pater? Du meinst, wir beide gehen dahin? Jetzt sofort, einfach so, wir beide?«
    Abermals begann sie zu weinen. »Nicht sofort, nein, nicht sofort.« Sie schüttelte den Kopf. Gab sich geschlagen.
    Ich nahm mir den Jungen. Als ich ihm das Blut aussaugte, brach ich ihm das Genick. Er gab keinen Laut von sich. Für Angst oder Schmerz oder Weinen blieb ihm keine Zeit.
    Vergessen wir je, wie es war, das erste Mal zu töten?
    Die ganze Nacht verbrachte ich in der Hürde, schlang, schmauste, tat mich an ihren Kehlen gütlich und nahm mir von jedem Opfer, wonach mich gelüstete. Jedes einzelne sandte ich auf seinen Weg - zu Gott oder in die Hölle, wie sollte ich das je erfahren, da ich nun in diesem unsterblichen Körper an die Erde gebunden war. Und Ursula mit ihren feinen Manieren leistete mir bei diesem Festschmaus Gesellschaft. Aber sie beobachtete mich, und wenn ich in wildes Geheul und Wehklagen

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