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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio
Autoren: Anne Rice
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der Stadt gekleidet und erfreuten sich des höfischen Lebens auf unvorstellbare Weise. Ich musste zugeben, dass es vor-teilhaft für mich war, ihnen zu lauschen, denn sie hatten viel Lebenserfahrung.
    Das Gleiche galt auch für die Verwandten meines Vaters, nur dass dies natürlich ihr Land war, das Land ihrer Familie, so dass sie wohl glaubten, ein größeres Anrecht darauf zu haben, da sie all diese heroischen Kämpfe im Heiligen Land geführt hatten. So schien es wenigstens, und deshalb stritten sie mit meinem Vater über alles und jedes, vom Geschmack der Fleischpasteten, die zur Abendmahlzeit serviert wurden, bis hin zudem verwir-rend modernen Stil der Maler, die mein Vater aus Florenz hatte kommen lassen, um unsere kleine Kapelle aus-zuschmücken.
    Außer seiner Vorliebe für Gläser war die Malerei wahrscheinlich das einzige Moderne, an das er sich hielt.
    Unsere kleine Kapelle war jahrhundertelang schmucklos gewesen. Wie die vier Türme und alle Mauern unserer Burg war sie aus diesem hellen Stein gebaut, der in der nördlichen Toskana vorkommt. Das ist nicht die Sorte Stein, wie man sie in Florenz so häufig findet, die grau und irgendwie permanent verschmutzt wirkt. Dieser Stein aus dem Norden hat eine beinahe blassrosa Farbe.
    Ich war noch sehr jung, als mein Vater die ersten Mal-schüler aus Florenz hergebracht hatte, gute Maler, die bei Piero della Francesco und vergleichbaren Meistern gelernt hatten; sie sollten die Kapelle mit Wandbildern ausmalen, die von den erbaulichen Geschichten über Heilige und von biblischen Riesen handelten, wie sie in den Legendenbüchern erzählt wurden. Da mein Vater selbst nicht besonders fantasiebegabt war, hielt er sich, was die Themen anging, an das, was er aus den Kirchen von Florenz kannte; also befahl er den Malern, dass sie die Geschichten von Johannes dem Täufer malen sollten, der mit unserem Herrn Jesus verwandt und außerdem der Schutzheilige der Stadt Florenz war. So kam es, dass während meines letzten Lebensjahres als Mensch unsere Kapelle sich mit Bildern von der heiligen Elisabeth und dem Evangelisten Johannes, der heiligen Anna und der Jungfrau Maria, von Zacharias und unzähligen Engelsbil-dern füllte, alle - wie es zu jener Zeit üblich war - in feinster Florentiner Kleidung.
    Gegen diese »modernen« Gemälde, die so ganz anders waren als die starren Bildnisse von Giotto oder Cimabue, hatten meine alten Onkel und Tanten Einwände. Und was die Dörfler anging, denke ich, dass sie sie auch nicht so ganz verstanden, aber sie waren derart von Ehrfurcht übermannt, wenn sie zu einer Hochzeit oder einer Taufe in die Kapelle kamen, dass es sowieso keine Rolle spielte.
    Ich selbst war natürlich unendlich glücklich über diese Malerei und darüber, dass ich meine Zeit bei den Künst-lern verbringen konnte, die alle schon fort waren, als von Dämonen durch ein Blutbad ein Schlussstrich unter mein Leben gezogen wurde. In Florenz hatte ich viele sehr be-rühmte Bilder gesehen und meine große Schwäche war es, umherzustreifen und den herrlichen Anblick der gemalten Engel und Heiligen zu genießen, die in der Kathedrale die prächtig ausstaffierten Nischen mit den Heili-genaltären schmückten. Anlässlich einer der Reisen mit meinem Vater hatte ich in Cosimos Haus sogar den ungestümen Maler Filippo Lippi gesehen, der zu jener Zeit dort tatsächlich hinter Schloss und Riegel gehalten wurde, weil er ein Gemälde fertig stellen sollte.
    Ich war von dem schlichten und doch einnehmenden Mann sehr angetan, von der Art, wie er argumentierte und taktierte und sich fast in einen Wutanfall hineinstei-gerte, um den Palazzo verlassen zu dürfen, während der hagere, ernste Cosimo einfach lächelte und mit gedämpfter Stimme zu ihm sprach und ihn nach und nach von seiner Hysterie abbrachte, indem er ihm sagte, er solle seine Arbeit wieder aufnehmen, denn wenn er sie erst beendet hätte, wäre er bestimmt glücklich.
    Filippo Lippi war zwar ein Mönch, aber er war verrückt nach den Frauen, das war allgemein bekannt. Man könn-te sagen, dass man ihn nur zu gerne als den bösen Bu-ben sah. Und natürlich waren es die Frauen, derentwe-gen er unbedingt aus dem Palazzo herauswollte; später, an der Tafel, schlug man unserem Florentiner Gastgeber sogar vor, dass er Filippo zusammen mit ein paar Frauen in das Atelier einsperren sollte, das würde ihn vielleicht bei Laune halten. Aber Cosimo wird sich wohl kaum an diesen Rat gehalten haben, andernfalls hätten seine Feinde das
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