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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio
Autoren: Anne Rice
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den unversöhnlichen Kräften in seinem Inneren arrangieren muss, das spiegeln seine Charaktere wider - sie sind traurig, weise und nie unschuldig, aber immer sanft und das Abbild stummer Qual.«
    Auf unserem Heimweg, während wir eine ziemlich steile Strecke durch die Wälder aufwärts ritten, fragte mich mein Vater so ganz nebenbei, ob die Künstler, die er für unsere Kapelle verpflichtet hatte, gut gewesen wären.
    »Vater, machst du Witze?«, fragte ich. »Sie waren ausgezeichnet.«
    Er lächelte. »Mir war nicht klar, ob du das wusstest«, sagte er. »Ich hatte einfach die Besten ausgewählt.«
    Nun lächelte ich.
    Dann lachte er gutmütig. Ich habe ihn nicht mehr gefragt, wann und ob ich wieder fortgehen könne, um ein Studium aufzunehmen. Ich hatte mir wohl überlegt, dass ich uns beide zufrieden stellen könnte. Auf dieser letzten ge-meinsamen Reise von Florenz heimwärts haben wir bestimmt zwei Dutzend Mal Halt gemacht. Eine Burg nach der anderen bewirtete uns, wir gingen in neuen, lichten, üppig ausgestatteten Landhäusern ein und aus und schlenderten in ihren weiten Parkanlagen umher. Nichts von alldem fesselte mich übermäßig, denn ich dachte, dies alles wäre Teil meines Lebens - die Bäume, an denen sich der Blauregen hochrankte, die Weingärten auf den grünen Hängen, die lieblichen Mädchen, die mir aus ihren Loggien zuwinkten.
    In dem Jahr, als wir diese Reise machten, führte Florenz gerade Krieg. Die Stadt hatte für den berühmten Francesco Sforza Partei ergriffen, der Mailand in Besitz nehmen wollte. Neapel und Venedig hatten sich beide auf Mailands Seite geschlagen. Die Kämpfe waren schrecklich, aber sie berührten uns nicht. Dieser Krieg wurde anderswo geführt, von gemieteten Söldnern, und die Erbit-terung darüber hallte in den Straßen der Städte, doch nicht auf unserem Berggipfel.
    Was mir von dieser Auseinandersetzung in Erinnerung blieb, sind zwei bemerkenswerte Charaktere, die darin verwickelt waren. Einer davon war der Herzog von Mailand, Filippo Maria Visconti, ein Mann, der unser Feind war, ob es uns gefiel oder nicht, da er mit Florenz ver-feindet war.
    Aber hören Sie sich an, was das für ein Mann war: Er war, wie man sagte, nicht nur grauenvoll fett, sondern fühlte sich auch zum Schmutz hingezogen, so dass er manchmal seine Kleider ablegte und sich nackt im Dreck seiner Gärten rollte! Schon der Anblick eines Schwertes erschreckte ihn zu Tode, und wenn man es aus der Scheide zog, begann er zu kreischen! Außerdem grauste es ihn davor, sich porträtieren zu lassen, weil er sich für zu hässlich hielt - was ja auch stimmte. Aber das war nicht alles. Seine schwachen, dünnen Beine wollten ihn nicht tragen, so dass er sich von Pagen herumschleppen lassen musste. Dennoch hatte er einen gewissen Sinn für Humor. Er pflegte unvermittelt eine Schlange aus seinem Ärmel zu ziehen, um den Leuten einen Schrecken einzu-jagen! Entzückend, finden Sie nicht auch?
    Dennoch gelang es ihm, wie auch immer, fünfunddreißig Jahre lang über das Herzogtum Mailand zu gebieten, und eben gegen Mailand wandte sich sein eigener Söldner, Francesco Sforza, in diesem Krieg. Letzteren will ich hier kurz beschreiben, weil er ein recht kurioser Charakter war, wenn auch von völlig anderer Art als der Herzog; er war der ansehnliche, starke, tapfere Sohn eines Klein-bauern - eines Bauern, der als Kind entführt worden war und es anschließend zum Anführer genau dieser Entfüh-rerbande gebracht hatte. Und unser Francesco wurde erst zum Führer dieses Trupps, als sein Vater, der heldenhafte Bauernspross, bei dem Versuch, einen Pagen vor dem Ertrinken zu retten, selbst in dem Strom ertrank.
    Welch unverfälschter Heldenmut! Was für eine Gabe!

    Ich habe Francesco Sforza erst zu Gesicht bekommen, als ich für die sterbliche Welt tot und ein streunender Vampir geworden war, aber er entsprach seiner Be-schreibung, war ein Mann von heldenhaftem Körperbau und Benehmen, und, glauben Sie es oder nicht, diesem unwürdigen Mann bäuerlicher Abkunft, der ein geborener Kämpfer war, gab der verrückte Herzog von Mailand seine Tochter zur Frau. Die Tochter war übrigens nicht das Kind seiner Gattin, dieser armen Seele, die man einge-sperrt hielt, sondern sie war von seiner Mätresse. Letztendlich führte diese Heirat zu dem Krieg. Ursprünglich kämpfte Francesco nämlich tapfer für den Herzog, und als der seltsame, unberechenbare Adelsherr schließlich verreckte, wollte natürlich sein Schwiegersohn, der
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