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Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Titel: Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe
Autoren: Lisa J. Smith
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geradezu wunderbar fühlte.
    Sie konnte wieder denken, atmen, sehen.
    Joyce hatte das fahrbare Tischchen mit dem Kristall von Gabriel weggezogen. Aus seiner Stirn troff Blut, die Haut war aufgerissen. Er muss trotz der Fesseln den Kopf bewegt haben, dachte Kaitlyn. Das Blut lief ihm übers Gesicht, als weine er.
    Das muss schrecklich für ihn sein, dachte Kaitlyn. Doch Gabriel war gar nicht bei Bewusstsein. Erst jetzt
wurde ihr klar, dass sie schon seit Längerem nichts mehr von ihm vernommen hatte.
    Die Tür des Faradaykäfigs wurde geöffnet. Rob war neben ihr. Rob hielt sie fest.
    Wie geht es dir? Oh Gott, Kait, ich dachte, ich verliere dich.
    Da war es wieder. Das neue Gefühl. Das sich fast anfühlte wie Schmerz, und doch wieder ganz anders.
    Kaitlyn sah Rob in die Augen.
    Ich wusste es nicht, sagte er. Ich wusste nicht, wie viel ich zu verlieren hatte.
    Es war wie an dem Nachmittag, als er sie voll Ehrfurcht und Erstaunen angesehen hatte, als er kurz vor einer Entdeckung gestanden hatte, die ihrer beider Leben verändert hätte. Nur, dass es jetzt geschehen war, das konnte sie in seinen goldenen Augen lesen. In ihnen leuchtete ein reines Licht, das anzusehen fast unmöglich war.
    Es wäre gewesen, als hätte ich mich selbst verloren, meine eigene Seele, sagte Rob. Er schien es gar nicht zu ihr zu sagen, sondern mehr zu sich selbst. Und jetzt ist es, als hätte ich meine Seele wiedergefunden. Meine andere Hälfte.
    Kaitlyn kannte dieses Gefühl – das Universum um sie herum schien nur auf sie zu warten, umschloss sie alle beide. Diesmal allerdings mischte sich in das Schweigen eine unbändige Freude, Gewissheit. Sie
standen nicht mehr auf der Schwelle, sondern hatten das Tor durchschritten. Sie tauschten sich aus, mit und ohne Worte. Es war, als verschmölzen ihre Seelen in einer Umarmung, die nicht gleichzusetzen war mit dem Netz und auch nicht mit Robs Heilkräften, obwohl sie Elemente von beiden in sich trug.
    Es war eine Vertrautheit, eine Zusammengehörigkeit, die Kaitlyn sich nie erträumt hatte.
    Ich bin bei dir. Ich gehöre zu dir.
    Ich bin ein Teil von dir. So wird es immer sein.
    Kaitlyn wusste nicht einmal, wer von ihnen beiden die Worte sprach. Sie teilten sich die Gefühle.
    Das ist unsere Bestimmung.
    Er hielt ihre Hände, und sie hielt seine. Sie konnte die Kraft spüren, die sie beide durchströmte, die Energie, wie Millionen funkelnder Lichter, wie frisches reinigendes Wasser, wie Musik, wie Sterne. Doch sie spürte, dass sie ihn ebenso heilte wie er sie. Dass sie ihm zurückgab, was der Unfall ihm genommen hatte, den Teil, der ihm gefehlt hatte.
    Und dann kam alles ganz einfach und natürlich, als wüssten beide instinktiv, was zu tun war, als hätten sie es schon immer gewusst.
    Sie streckte ihm das Gesicht entgegen, er beugte sich zu ihr hinab.
    Seine Lippen berührten die ihren.
    Sie tauschten einen zarten unschuldigen Kuss aus.
Kait hatte nie gedacht, dass es so sein könnte, einen Jungen zu küssen.
    Nicht einmal Rob. Sie hatte darüber nachgedacht, hatte sich ausgemalt, wie wunderbar es wäre. Doch nun fühlte es sich völlig anders an, so, als tauche sie in die Farbe seiner Augen ein, als falle sie, immer weiter, ins goldene Sonnenlicht.
    Wir sind füreinander bestimmt.
    Eine sonnendurchflutete Welle, eine Welle aus Gold hüllte sie sanft ein und nahm sie mit.
     
    Erst schwach, dann immer lauter trat ein Geräusch in Kaitlyns Bewusstsein. Eine Stimme.
    »Es tut mir leid, wenn ich euch unterbrechen muss! Aber wirklich, Rob, es gibt hier einiges zu tun!« Das war Joyce. Nach den lieblichen Klängen, die Kaitlyn und Rob begleitet hatten, war ihre Stimme unangenehm unmelodiös. Joyce sah sie nervös an. Die Tränen auf Annas Gesicht waren noch feucht. Seit die vier das Zimmer betreten hatten, war nicht mehr als eine Minute vergangen.
    Das war natürlich völlig unmöglich. Tief in ihrem Herzen wusste Kaitlyn, dass es Stunden gewesen waren, aber das war die wirkliche Zeit, die Seelenzeit gewesen, nicht die Uhrzeit, die auf diesem trostlosen Planeten gemessen wurde. In Wahrheit hatten sie und Rob stundenlang auf einer Wolke geschwebt.

    Rob löste sich von ihr und ließ ihre Hände los. Eine kleine Trennung, die ihr unglaublich schwerfiel. Kaitlyns Finger schlossen sich erneut, fassten aber ins Leere.
    »Es tut mir leid. Ich glaube, ich kann Gabriel helfen«, sagte Rob. Er stand auf, tat einen Schritt, kehrte dann aber zu Kait zurück. Er kniete sich noch einmal hin. Ich habe ganz vergessen,
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