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Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Titel: Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe
Autoren: Lisa J. Smith
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Kaitlyn.
    Sie suchte nach Halt. Jemand stützte sie.
    Sirenen kamen näher. Um den Kombi hatte sich eine Menschentraube gebildet, die Kaitlyn nun die Sicht auf das Kind nahm.
    Sie kannte Curt Günter. Das Mädchen war sicher Lindy, seine kleine Schwester. Warum hatte Kaitlyn das nicht gesehen? Warum hatte das Bild ihr nicht
mehr gezeigt? Warum konnte es ihr nicht einen Autounfall zeigen, mit Ort und Datum, statt eines erbärmlichen Kindergesichtes? Warum war das alles nur so sinnlos, so verdammt sinnlos …?
    »Willst du dich hinsetzen?«, fragte die Person, die sie festhielt. Es war Joyce Piper. Sie zitterte.
    Auch Kait zitterte. Sie atmete stoßweise und klammerte sich fester an Joyce.
    »Als Sie gesagt haben, ich könnte lernen, … es … zu steuern, haben Sie da gemeint …?« Kaitlyn brachte es nicht über sich, von einer »Gabe« zu sprechen.
    Joyce sah von Kaitlyn zu dem Unfallauto, und ihr schien etwas aufzugehen. »Ich glaube schon. Ich hoffe es.«
    »Sie müssen es mir versprechen.«
    Joyce sah ihr so offen in die Augen, wie es in Thoroughfare niemand je getan hatte. »Ich verspreche, dass wir es versuchen werden, Kait.«
    »Dann komme ich mit. Mein Dad wird es verstehen. «
    Joyce’ Augen schimmerten feucht. »Da bin ich aber froh.« Sie zitterte jetzt heftig. »20°C, Kait«, fügte sie leise, fast geistesabwesend hinzu. »Pack leichte Sachen ein.«
     
    In dieser Nacht hatte Kaitlyn einen Traum, der ihr merkwürdig real vorkam. Sie befand sich auf einer
felsigen Halbinsel, einer Landzunge, umspült von einem kalten grauen Ozean. Die Wolken über ihr waren fast schwarz, und der Wind blies ihr die Gischt ins Gesicht. Sie spürte geradezu körperlich die Feuchtigkeit, die Kälte.
    Hinter ihr rief jemand ihren Namen. Doch als sie sich umdrehte, war der Traum zu Ende.

KAPITEL DREI
    Als Kait aus dem Flugzeug stieg, erfasste sie ein gleichermaßen flaues wie triumphales Gefühl. Obwohl es ihr erster Flug gewesen war, war alles glattgegangen. Bei Start und Landung hatte sie Kaugummi gekaut, und einmal in der Stunde hatte sie die winzige Toilette aufgesucht, damit sie nicht völlig einrostete auf ihrem schmalen Sitz. Während das Flugzeug zum Flugsteig rollte, bürstete sie sich das Haar und strich sich das rote Kleid glatt. Perfekt.
    Sie war überglücklich. Als sie die Entscheidung erst einmal getroffen hatte, war ihre Stimmung deutlich gestiegen. Der Aufenthalt im Institut erschien ihr nicht mehr als unangenehme Notwendigkeit, sondern es war der Traum, den Joyce beschrieben hatte, der Beginn eines neuen Lebens. Ihr Vater hatte unglaublich gelassen und verständnisvoll reagiert. Er hatte sich von ihr verabschiedet, als ginge sie zum College. Joyce wollte sie am Flughafen von San Francisco abholen.
    Doch am Flughafen herrschte drangvolle Enge, und von Joyce war nichts zu sehen. Kaitlyn stand an der Sperre, den Kopf hoch erhoben, und versuchte, einen
gelassenen Eindruck zu machen. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war, dass ihr jemand Hilfe anbot.
    »Verzeihen Sie.«
    Beim Klang der unbekannten Stimme schielte Kaitlyn kurz zur Seite. Dort aber stand keine hilfsbereite Seele, sondern einer der Sektenanhänger, die an Flughäfen gern um Geld betteln. Er trug ein langes rötliches Gewand – toskanisches Rot, dachte Kait. Falls sie es später malen wollte.
    »Würdest du mir bitte eine Minute deiner Zeit schenken.« Die Stimme klang höflich, aber bestimmt, fast gebieterisch. Sie hatte einen fremdländischen Akzent.
    Kait tauchte weg oder versuchte es zumindest, denn seine Hand hielt sie fest. Sie sah die Hand verblüfft an, karamellfarbene schlanke Finger, die sich um ihr Handgelenk geschlossen hatten.
    Okay, du Idiot, du hast es nicht anders gewollt. Wutentbrannt richtete Kait die geballte Macht ihrer rauchblauen Augen auf den Fremden.
    Er erwiderte ihren Blick, und als ihm Kait tief in die Augen sah, geriet sie ins Schwanken.
    Seine Haut war braun. Die dunklen Augen neigten sich leicht nach außen und hatten eine sichelförmige Hautfalte am inneren Rand. Kaitlyn kam das Wort »Luchsaugen« in den Sinn. Das gewellte Haar hatte
den glänzenden Braunton einer Birke. Es passte alles nicht zusammen.
    Doch nicht deshalb geriet Kait ins Schwanken. Es war das schiere Alter, das er repräsentierte. Als sie ihm in die Augen sah, hatte sie das Gefühl, dass Jahrhunderte an ihr vorbeizogen, Jahrtausende. In seinem Gesicht war nicht eine Falte zu sehen, doch in seinen Augen spiegelte sich die Eiszeit.
    Obwohl sich
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