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Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann

Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann

Titel: Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann
Autoren: Lisa J. Smith
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die Augen zu und legte schützend die Hände vors Gesicht, doch sie sah das Licht auch durch die geschlossenen Lider.
    Sie sah Farben, auf die ihre Ölkreiden und Farbstifte sie nie vorbereitet hatten. Ein strahlendes Gelb, das jenseits
jeder Farbskala war. Drachenblutrot, das sich in lavafarbene Flammen verwandelte. Ultraviolett-silbernes Blau.
    Die Farben explodierten wie Silvesterraketen, breiteten sich aus, bis sie das Gesichtsfeld verließen, eine grelle Explosion nach der anderen.
    Und dann war plötzlich alles vorbei. Kaitlyn sah noch Nachbilder in allen Regenbogenfarben, wunderschön feurige Linien, die sich in ihre Lider eingebrannt hatten.
    Vorsichtig öffnete sie die Augen und nahm die Hände vom Gesicht.
    Noch immer war der Raum in ein kobaltgrünes Licht gehüllt, doch Kaitlyn konnte wieder sehen. Der große Kristall war zu Staub zerfallen. Der Glasstaub häufte sich zu einem Berg auf, der aussah wie eine große steinerne Pflanze in der Form eines Weihnachtsbaums. Die größten Bruchstücke waren kieselsteingroß.
    Mr Zetes, der den Kristall in dem Moment, in dem er zerborsten war, berührt hatte, war verschwunden. Einfach weg. Bis auf den Spazierstock mit dem goldenen Knauf, den er hatte fallen lassen, war nichts mehr von ihm da.
    Sasha und Parté King lagen reglos da. Auf ihren Gesichtern stand ein Ausdruck leeren Erstaunens, der zwar nicht friedlich wirkte, aber auch nicht gequält. Kaitlyn tat es leid, dass sie die beiden für sich als menschliche Maden bezeichnet hatte. Sie waren Menschen.

    Alle anderen standen dort, wo sie gewesen waren, ehe der Kristall zerbrochen war. Sie ließen die Hände sinken, hoben den Kopf oder starrten ungläubig in den Raum.
    »Es ist vorbei«, flüsterte Lewis. »Wir haben es geschafft. Es ist vorbei.«
    Auch Kaitlyn stieg die Erkenntnis langsam ins Bewusstsein. Bri und Renny sahen sich um wie Schlafwandler, die soeben aufgewacht waren, endlich befreit vom Einfluss des Kristalls. Kaitlyn blickte Gabriel an. Er starrte noch auf die Hand, in der er den Kristall gehabt hatte. Die Handfläche war rosa, als hätte er sich verbrannt.
    »Ist der Splitter auch weg?«, fragte Kaitlyn.
    Er sah sie an, als hätte ihre Stimme ihn aufgeschreckt. Dann wanderte sein Blick wieder zu seiner Hand.
    Er blinzelte. »Ja«, sagte er. »Mit dem Kristall verschwunden. Ich habe gespürt … ich kann es nicht erklären. Es war wie ein Blitz in meiner Hand. Ich habe gespürt, wie die Kraft hindurchfloss. Und die Kraft – sie fühlte sich an wie Timon. Wie Timon und Mereniang und LeShan, wie sie alle. Es war, als wären sie alle da drin und stürmten hinaus.« Er blickte auf, fast verlegen. »Das klingt wahrscheinlich verrückt.«
    »Nein, ganz und gar nicht«, sagte Rob. Er klang stark. »Es klingt vernünftig. Ich glaube dir.«
    Gabriel sah ihn an, nur kurz. Dann hob er den Kopf, und der überraschte, verlegene Ausdruck war weg.

    Kaitlyn spürte so etwas wie Sprudelwasser in ihren Adern blubbern. »Wir haben es geschafft«, sagte sie. Sie sah jeden ihrer Freunde an, bis ihr Blick auf Lydia ruhte, und schließlich schrie sie: »Leute, wir haben es geschafft! «
    »Das habe ich doch gesagt«, erklärte Lewis.
    Alles danach fühlte sich an wie eine Achterbahn, die schnell an Tempo gewinnt. Jeder hatte das Bedürfnis, es auszusprechen, es zu rufen, lauter zu schreien, über das Rufen der anderen hinweg gehört zu werden. Sie brüllten einander ihren Sieg zu, umarmten sich, klopften sich auf den Rücken und machten sich immer wieder lautstark klar, was geschehen war. Kaitlyn schüttelte Lydia und küsste Gabriel. Rob, der sich irgendwie von der Kette befreit hatte, zupfte an Annas langen Zöpfen.
    Bri und Renny feierten mit, boxten einander, johlten und kreischten. Joyce weinte, stützte sich mit einer Hand auf Kaitlyns Schulter und flüsterte etwas, das sie nicht hören konnte. Lydia wurde als vollwertiges Mitglied des Siegerteams von Lewis immer und immer wieder umarmt.
    Nur drei der Anwesenden beteiligten sich nicht an den Freudentänzen. Tamsin kniete neben den beiden toten Jungen am Boden. Sie weinte, als sie ihnen die Augen schloss.
    Frost und Schakal Mac beobachteten mit verängstigtem, abweisendem Blick, wie sich die unbändige Freude
um sie herum entlud. Kaitlyn sah sie da stehen und winkte Frost zu.
    »Kommt schon«, sagte sie. »Sorgt euch nicht, seid glücklich. Don’t worry, be happy. Wir kommen schon miteinander klar, oder?«
    Es war vielleicht nicht die geschickteste Einladung,
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