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Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)

Titel: Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
Autoren: Eduardo Sacheri
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weil es so irrsinnig heiß war. Alejandro hatte zur Baumkrone gezeigt und gesagt, wetten, dass er sich traue, da raufzuklettern.
    Das schaffe er nie, sagten die anderen, aber mehr aus Reflex, als dass sie es ihm nicht zutrauten. Es war kurz vor vier, und kicken konnten sie sowieso erst wieder, wenn die Nachbarn ihren Mittagsschlaf beendet hatten.
    Alejandro stand auf, klopfte sich den Staub von den Händen und zog sich an einem Ast hoch. Kaum war er oben, stichelten die anderen, mäkelten an seiner Klettertechnik herum, drohten, ihn bei seiner Mutter zu verpetzen. Alejandro aber ließ sich nicht beirren und stieg Ast um Ast höher. Die anderen mussten die Augen zusammenkneifen, weil Blätter und Rinde auf sie herunterrieselten. Obwohl sie sich die Lunge aus dem Hals schrien, war schnell klar, dass Alejandro es tatsächlich bis in den Wipfel schaffen würde. Das letzte Stück robbte er wie ein Koalabär hoch, weil die Äste immer dünner wurden und er nicht ganz schwindelfrei war.
    Dann war er oben. Vorsichtig suchte er eine stabile Position, presste die Schenkel um den Stamm, löste langsam die Füße und, als er sich ganz sicher fühlte, auch die Hände, sah nach unten und zeigte den anderen einen Stinkefinger. Dann ließ er zufrieden den Blick schweifen. Er war der Erste, der die Dächer seines Viertels von oben sah, und vermutlich, dachte er, würde er auch der Einzige bleiben. Nie im Leben würden sich die anderen trauen, hier raufzuklettern. Er würde der Held sein, und darauf freute er sich jetzt schon.
    Er holte tief Luft, ballte die Fäuste, breitete die Arme aus und stieß diesen gutturalen Schrei aus, den er sich bei Johnny Weissmuller und Ron Ely abgeguckt hatte. Dann schlug er sich auf die Brust und brüllte: »Ich bin Tarzan, der Herr der Affen!«
    Vor Übermut begann er zu hüpfen, vorsichtig zwar, aber genug, dass der Ast, auf dem er saß, mit einem lauten Knacken brach. Den anderen sträubten sich die Nackenhaare, als sie das Knacken hörten, und sie kreischten entsetzt auf, als sie sahen, wie er von Ast zu Ast nach unten fiel, mit immer merkwürdigeren Verrenkungen.
    Zum Glück lebte damals Abelardo Colacci noch, und dieser Abelardo Colacci hatte einen Ford Falcon, um den er sich kümmerte wie ein hingebungsvoller Liebhaber. Und weil er die fixe Idee hatte, dass die Sommersonne den Lack seines Wagens zerfressen würde, parkte er ihn von Dezember bis März unter der Trauerweide, was zur Folge hatte, dass Alejandro nicht auf dem Boden landete, sondern auf dem Dach des Ford Falcon. In den folgenden Wochen sollten die vier immer wieder zu Colaccis Wagen gehen und sich fassungslos den Krater ansehen, den Alejandro im Dach hinterlassen hatte. »Hier bin ich mit dem Hintern aufgeschlagen«, sagte Alejandro dann, als untersuchte er die Wirbel eines Dinosauriers im Museum, »und hier mit dem Kopf.« Und Ruso fügte immer hinzu: »Ganz schön tiefe Dellen. Hätte das Auto nicht da gestanden und wärst du direkt auf den Asphalt geknallt, dann gute Nacht, dann wärst du jetzt tot.« Zum ersten Mal hatte er es in der Klinik gesagt, als man sie endlich zum eingegipsten Alejandro ins Zimmer gelassen hatte. Und weil er seinen Befund für so schlau hielt und sich selbst für so feinfühlig, hatte er es jedes Mal, wenn sie an der Trauerweide vorbeikamen, wiederholt.
    Am Tag des Sturzes, als es so sehr schepperte, dass die Nachbarn an die Fenster eilten, weil sie dachten, auf der Kreuzung hätte es gekracht, und jemand geistesgegenwärtig einen Krankenwagen rief, versammelten sich die drei Freunde um den Wagen, auf dem schmutzig und zerkratzt Alejandro lag und stöhnte, also lebte. Mauricio überwand als Erster den Schock, die Angst, der Freund könnte tot sein. Er verzog das Gesicht zu einem schelmischen Lächeln und verpasste Alejandro den Spitznamen, den er sein Leben lang nicht wieder loswerden würde.
    »König der Affen, dass ich nicht lache. Ein Affe bist du, mehr nicht.«
    Und bei diesem Namen blieb es: Mono.
    2
    Mauricio öffnet den kleinen Aktenkoffer, holt sein Notizbuch heraus, schlägt es auf einer vollgekritzelten Seite auf.
    »Ich hab’s jetzt so weit klar, bis auf einige Details, für die mir noch die Kontoauszüge fehlen. Deine Mutter wollte sie heute oder morgen vorbeibringen. Viel Durchblick scheint sie allerdings nicht zu haben. Vielleicht solltest du ihr mal ein bisschen unter die Arme greifen, Fernando.«
    »Ich bin vor siebzehn Jahren ausgezogen, Mauricio. Ich hab keine Ahnung, wo die
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