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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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worden.
Während Jenny und Dr. Calhound sich um die Jungs kümmerten, sprach ich mit dem Leiter der Anlage Steve Hart. Steve war dreißig und strahlte ein sehr jugendliches Flair aus. Wir verstanden uns sofort und sprachen einige Regeln ab, die wir mit den Jungs bezüglich des Aufenthalts und des Umgangs in der Anlage besprochen hatten. Das gefiel Steve. Dadurch brauchte er keine eigenen Regeln mit uns zu besprechen. Er stellt mir Nancy, seine Ehefrau, vor. Sie kümmere sich um das Reinigungspersonal und die Abläufe in der Küche.
Als ich zu Jenny in Zimmer kam und ihr erfreulich mitteilte, dass alles perfekt eingerichtet sei, gab sie mir noch einmal zu verstehen, dass ich nun die leitende Person für den gesamten Programmablauf der nächsten sieben Tage sei. Da erst wurde mir bewusst, wie groß der Fehler gewesen war, diesen Job zu übernehmen. Sicher, ich hatte noch Dr. Calhound an meiner Seite. Der Gedanke erleichterte ein wenig meine Last.
Jenny fragte, ob ich schon Pläne hätte. Ich sagte (eigentlich) scherzhaft: „Wir geben jetzt allen täglich Beruhigungsmittel und fahren nach sieben Tagen wieder heim.“
Sie fand das überhaupt nicht lustig. Ich nahm also alleine meine Beruhigungspillen ein. Ohne die ging derzeit gar nichts.
    Es ging los.
Kaum war ich auf dem Flur, kamen sie von allen Seiten auf mich zu: „Dr. Koman, wo treffen wir uns? Dr. Koman, schon eine Idee für heute? Dr. Koman, wie sieht’s mit einer Nachtwanderung aus? Dr. Koman … Dr. Koman … Dr. Koman …“
Dr. Koman, wann geht’s heim? – Das war meine Frage.
Ich orderte zunächst alle in den Speisesaal, wo es in einer Stunde Essen gab. Immer wieder zählten wir die Jungen durch. Keiner von uns konnte abschätzen, wie sich psychisch gestörte Kinder verhalten, wenn sie ihrer gewohnten Umgebung entrissen werden. Das macht oft schon nicht gestörten Kindern zu schaffen.
Es war wie bei einer Bundestagsdebatte: Vorne die Minister, ihnen gegenüber die Abgeordneten.
Ich fühlte mich erstaunlich entspannt und fuhr meine Stimme auf den niedrigsten Pegel herunter. „Zunächst bekommen wir Essen. Es gibt drei Menüs zur Auswahl. Genießt es, so etwas bekommt Ihr so schnell nicht wieder.
Alle lachten. 1:0 für mich.
„Danach wird uns Steve die Anlage hier zeigen, damit wir wissen, was wir hier machen können.“
Alle grölten. 2:0 für mich.
Ich sah mich in der Runde um. Wo war Chris? Ich erblickte ihn halb verborgen hinter Benny sitzen. Tief in den Stuhl gesunken, hielt er etwas unter dem Tisch, was ihn beschäftigte. Schreibt er etwa in sein Buch?
Ich redete weiter: „Danach werden wir uns vom Personal zusammensetzen und einen Plan entwerfen, während Ihr draußen spielen könnt.“
Jubel! 3:0 für mich.
Chris schien das nicht sonderlich zu interessieren. Ich wurde nervös und ging zu ihm hinüber. In der Tat, er hielt ein Schriftstück unter dem Tisch verborgen. Als ich näher trat, drückte er es zwischen seine Beine.
„Was machst du da?“, fragte ich ihn. Er grinste mich an.
„Was hast du da?“, fragte ich weiter. Schließlich war ich hier die Leitung und hatte das Recht, alles sehen zu dürfen. Doch Chris fuhr mit seinem Grinsen unbeirrt weiter. Erst als ich ihn aufforderte: „Gib mir das, was du zwischen den Beinen stecken hast“, holte er das Schriftstück hervor. Unterschwellig hörte ich das Gelächter einzelner Jungs. Die Frage war wohl ziemlich blöd formuliert.
Chris reichte mir einen Plan. Ich entfaltete ihn und stellte mit einen knappen Blick fest, dass es sich um den Fluchtplan der Anlage handelte, wenn Feuer ausbrechen würde. Erstaunt und irritiert zugleich sah ich ihn an.
„Einen Fluchtplan?“, fragte ich spitz und registrierte, wie Jenny aufmerksam wurde. Ob es wegen meiner spitzen Bemerkung oder diesem außergewöhnlichen Plan war, kann ich nicht sagen.
„Ja, Sir“, gab Chris zu verstehen. „Falls hier Feuer ausbricht, bin ich gut informiert und kann allen helfen, sich zu retten.“
Schock! 3:1. Mein erstes Gegentor.
„Diesen Plan sollten alle Begleiter als erstes lesen, Sir, nicht wahr?“
3:2. Wieder ein Gegentor.
Und dann noch:
„Haben sie diesen Plan schon studiert, Sir?“
Gleichstand.
Ich konterte schnell: „Da ich nicht so viel Zeit hatte wie du, und mich zunächst um andere Dinge kümmern musste, werde ich nachher den Plan lesen. Noch befinden wir uns ja nicht richtig in dem Gebäude.“
War das albern? Da lieferte ich mir doch tatsächlich mit einem Zwölfjährigen einen verbalen
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