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Vielen Dank für ihre e-mail

Vielen Dank für ihre e-mail

Titel: Vielen Dank für ihre e-mail
Autoren: Christoph Moss
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von gezielten Frage-Rufen. Praktisch ohne jede Verzögerung antworteten die im Blatt wartenden Fledermäuse. Und sie taten dies derart eindringlich, dass die wohnungssuchenden Tiere in den meisten Fällen in ein Blatt stiegen, aus dem sie zuvor eine Antwort erhalten hatten.
    Damit handeln die Fledermäuse nicht anders als Internetnutzer, die erst eine Empfehlung, eine Note, eine Evaluation oder eine sonst wie geartete Beurteilung zu einem Produkt einsehen – bevor sie eine Kaufentscheidung treffen.
    Und letztlich ist dieses Verhalten die Grundlage für viele moderne Spielarten der Kommunikation. Soziale Netze wie Facebook , Online-Tagebücher in Form von Weblogs oder 57 Kundenforen funktionieren immer nach dem Prinzip des kommunikativen Austauschs interessanter Nachrichten und Meinungen.
    Wenn eine Fledermaus der anderen folgt, ist dies nichts anderes als das Prinzip Twitter . Der Absender schickt einer bestimmten Gruppe von Empfängern regelmäßig Informationen, die nicht länger als 140 Zeichen sind. Wer diese Nachrichten lesen will, muss dem Verfasser folgen. Ähnlich dem Fledermaus-Beispiel wird er damit ein Follower , eine Art persönlicher Abonnent.
    Twittern heißt Zwitschern und ist längst Bestandteil der Unternehmenskommunikation geworden. Die Hälfte der börsennotierten Unternehmen im Deutschen Aktienindex sind „hochaktive Twitterer“, zeigt etwa eine Untersuchung der Berliner Mediendienstleister Blätterwald und Zucker.Kommunikation . Im Schnitt haben deutsche Unternehmen oder deutsche Niederlassungen internationaler Firmen demnach 661 Follower.
    Der US-Kabelanbieter Comcast nutzt den Dienst, um täglich etwa zwanzig differenzierte Antworten auf Kundenfragen zu geben. Andere Unternehmen wie Google, Messe Frankfurt oder Daimler versenden standardmäßig Pressemeldungen über Twitter , hat eine gemeinsame Studie von Absolit, talkabout communications und dem Verband der deutschen Internetwirtschaft eco herausgefunden.
    Einen ernstzunehmenden Hinweis auf Unterschiede zwischen den wohnungssuchenden Fledermäusen und den zwitschernden Menschen liefert allerdings das amerikanische Marketinganalyse-Unternehmen Pear Analytics . Der Leserkreis sei sehr eingeschränkt, und die Kommunikation finde situationsbezogen zwischen Freunden oder Kollegen statt. Die große Mehrheit des Gezwitschers sei damit nicht viel mehr als „sinnloses Geschwätz“.
     
WARUM WIR AUCH UNSINNIGE BOTSCHAFTEN BEGREIFEN WOLLEN
    Es scheint, als sei ein nennenswerter Teil der E-Mails, die wir lesen, überflüssig und unverständlich. Und trotzdem hat E-Mail-Kommunikation uns bis heute nicht ins totale Chaos gestürzt. Dafür gibt es einen guten Grund: Der Mensch ist ein außerordentlich intelligentes Wesen – ausgestattet mit einem sehr optimistischen Gehirn.
    Stellen Sie sich vor, Sie erhalten diese Nachricht mit der Betreffzeile „Pluckerwank“:
    Verdaustig wars, und glasse Wieben
    Rotterten gorkicht im Gemank;
    Gar elump war der Pluckerwank ,
    Und die gabben Schweisel frieben .
    Da will mich jemand auf den Arm nehmen, werden sie denken. So gut wie kein zentrales Wort aus diesen Zeilen entstammt der deutschen oder sonst irgendeiner Sprache. Und dennoch erzeugt dieses Gebilde des Schriftstellers Christian Enzensberger eine Wirkung in unserem Kopf.
    Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Empfänger diese Nachricht als deutschen Text einstufen. Der Leser kann den Pluckerwank als Figur identifizieren, die sich unwohl fühlt. Es ist kühl, und das macht Pluckerwank zu schaffen.
    Obwohl die Nachricht also inhaltlich wenig Substanz hat, macht unser optimistisch veranlagtes Gehirn das Beste daraus. „Es will Sinn erzeugen“, erklärt der Sprachlehrer Peter Linden. „Wenn die Semantik nicht hilft, müssen die Laute helfen, wie beim Versuch Erwachsener, Babys zu verstehen.“ Unser Hirn leistet also wahre Wunderdinge bei der Lektüre offenkundig fehlerhafter E-Mails. Warum zum Beispiel sind wir in der Lage, die folgende Nachricht begreifen:
    „Zux Bexspxel xanx icx jexen xrixtex Buxhsxabxn exnex Saxzex duxch xin X erxetxen xnd xerxtexe dxn Sxtz xroxzdxm.“
    Übersetzt heißt dies:
    „Zum Beispiel kann ich jeden dritten Buchstaben eines Satzes durch ein X ersetzen und verstehe den Satz trotzdem.“
    Wir begreifen den Text, obwohl in dem Beispiel jeder dritte Buchstabe ersetzt wurde. Dies funktioniert, weil wir in unserem Gehirn Schemata von Wörtern und Wortfolgen gespeichert haben, schreibt der Linguist Günther Zimmermann. Diese
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