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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen
Autoren: Friedrich Ani
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Paul Weber wie der Bilderbuchbayer aussah, sprach er kaum Dialekt. Fast redete er so wie der Leiter der Vermisstenstelle, Volker Thon, der in der Nähe von Hamburg geboren war. Thon nahm an der Sitzung nicht teil. Er baute einige seiner zweihundert Überstunden ab.
    »Sie ist nicht hysterisch«, sagte Sonja Feyerabend, »sie ist besorgt.«
    »Ich kenn die Kneipe gar nicht, wo genau ist die?« Heuer kratzte sich am Pullover, einem Rolli aus billigem synthetischem Material, von dem der Kommissar mehrere Exemplare hatte.
    »Existiert erst seit knapp zwei Jahren«, sagte Sonja.
    »Die beiden Frauen betreiben sie gemeinsam, Ariane Jennerfurt und Iris Frost.«
    »Was sagen die Gäste?« Funkels Verlangen nach Tabak wuchs.
    »Das Übliche«, sagte Sonja. »Dass Ariane niemals einfach weggehen würde, dass sie ein nettes Mädchen ist, eine Spitzenwirtin…«
    »Das Lokal ist in der Alramstraße, Ecke Implerstraße«, sagte Süden.
    »Kenn ich, die Gegend«, sagte Heuer.
    »Diese Iris, die Wirtin, also die Freundin von der… von der Ariane…«
    Alle schauten Freya Epp an. Wenn sie anfing zu sprechen, verging die Zeit nicht. Jeder schätzte ihre geschriebenen Berichte.
    Und die offene, freundliche Art, mit der es ihr gelang, rasch Kontakt zu verstockten Zeugen oder Verdächtigen zu bekommen. Nach nur drei Monaten in der Vermisstenstelle hatte sie sich zur besonderen Zufriedenheit von Funkel, der sie aus dem Kommissariat für Todesermittlungen geholt hatte, in das Team integriert. Und bereits in zwei Sonderkommissionen bewährt.
    Doch kaum fing sie an, vor ihren Kollegen frei zu sprechen, gerieten ihre Gedanken durcheinander. Sie wurde auf eine fast groteske Weise so nervös, dass ihr Gesicht rot anlief und sie nur mit Mühe ihre Sätze zu Ende brachte.
    Schweigen und Nicken. Das irritierte Freya noch mehr.
    »Hat sie noch mal angerufen?«, fragte Sonja.
    »Was?« Freyas Kulleraugen glänzten hinter den dicken Brillengläsern.
    Unauffällig sah Funkel auf die Uhr. Dann fiel sein Blick auf Tabor Süden. Der saß mit verschränkten Armen und gebeugtem Oberkörper da. Bedrückte ihn etwas? Süden bemerkte Funkels Blick. Und lächelte.
    Dieses Lächeln kam Funkel irgendwie hämisch vor.
    »Ja«, sagte Freya, »die hat… also erst hab ich gar nicht verstanden, was die wollte, weil… euer Bericht lag schon da, ich bin erst… Meine Mutter hat heut früh wieder einen Terz…«
    »Hat sie was von Ariane gehört?«, fragte Sonja.
    »Meine Mutter?«
    Sonja stieß einen Seufzer aus. Die junge Kollegin erinnerte sie an die KiKos, die vor einigen Jahren durch die Dezernate geisterten. Weil gewisse Kriminaldirektoren und Minister die Idee hatten, die Polizei zu verjüngen. Also beförderten sie Zwanzigjährige in den gehobenen Dienst, und übertrugen ihnen die Verantwortung für komplizierte Fälle. Die meisten dieser Kinderkommissare, wie die älteren Kollegen sie nannten, scheiterten. Am Job. An sich selbst. Einige quittierten bald den Polizeidienst. Andere ließen sich in die Verwaltung versetzen.
    »Doch nicht deine Mutter!«, sagte Sonja etwas zu laut.
    »Entschuldige«, sagte Freya.
    »Was hat Iris Frost zu dir gesagt?« Noch drei Minuten, dann war für Funkel die Höflichkeitsfrist abgelaufen. Was das Rauchen betraf. Sonja war es gewesen, die das Verbot bei Konferenzen durchgesetzt hatte. Und was Funkel völlig unverständlich fand, war, dass sogar Kollegen, die sonst eine nach der anderen pafften, dafür gestimmt hatten. Auch Volker Thon, der Zigarillos bevorzugte und sich bei seinen Gewohnheiten selten stören ließ, war einverstanden gewesen.
    »Dass die… dass sie, also die Ariane Jenner… nein, die Iris, dass die die Mutter angerufen hat, die Mutter von der… Ariane, und die, also die Mutter… die wohnt in… am… in Dießen… die weiß auch nichts, und das beunruhigt sie sehr, also diese Iris… Entschuldigung, ich bin heut echt schlecht aufgestanden und dann noch…«
    »Du fährst noch mal zu ihr«, sagte Funkel zu Sonja.
    »Lass dir Fotos geben, schau dich in der Wohnung um, wir müssen jemand finden, der sie zuletzt gesehen hat…«
    »Die Frau, die Freundin…«, fing Freya an.
    Funkel griff nach der Pfeife. Und dem Tabaksbeutel.
    »Noch fünf Minuten, bitte«, sagte Sonja.
    »Nein«, sagte Funkel.
    Heuer spitzte die Lippen. Und kratzte sich am Pullover. Süden klappte den Mund auf und zu. Wie ein Fisch. Reglos hielt Funkel die Pfeife in der Hand, deren Stiel auf Sonja zeigte. Das Blatt in Freyas Hand
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