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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen
Autoren: Friedrich Ani
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keine Schauspielerin.
    Der Beo geht nie allein in Kaufhäuser und wenn er im Stau steht, hört er Erzählungen von Thomas Mann. Von dem hab ich in der Schule »Tod in Venedig« gelesen.
    Komm, lass uns rausgehen, es ist warm, wir gehen in den Englischen Garten, komm!
    Du lügst, es schneit und es ist eiseskalt. Man darf sterbende Menschen nicht anlügen.
    Ich lüg nicht, und du stirbst nicht.
    Weißt du, ich hab auch lange gebraucht, bis ich mich wieder wertvoll gefühlt hab… Ist gut, Sandra.
    Sei still, Klara! Und heute, heute hab ich kapiert, dass man sich mit seinen Eltern nicht versöhnen muss, nein. Ich bin das Kind und das darf ich jetzt sein. Ich bin ein erwachsenes Kind. Ich hab keine Kopfschmerzen mehr und ich vertrag auch die Medikamente besser, mein Magen kippt nicht mehr so schnell um, und ich hab nur noch selten Herzrasen. Wenn ich allein bin, kann ich viel mit mir anfangen, das war früher anders. Du hast sogar eine Kneipe, Jenny, du bist unter Leuten, du hast jeden Tag eine Aufgabe.
    Ich will kein Kind sein, verflucht! Ich bin kein Kind mehr. Ich bin eine alte Frau von sechsunddreißig Jahren.
    Du wirst leben, Jenny.
    Du verwechselst mich, Klara.
    Sie bewegte sich nicht. Ihre Augen waren geöffnet. Seit Tagen war es im Badezimmer so kalt wie nie zuvor.
    Irgendwann drang von fern dumpfes Krachen herein, schrilles Zischen.
    Aber sie war sich nicht sicher.
    Sie hatte keine Schmerzen. Dort oben, hinter der schrägen Wand, war sie zu Hause. In der Küche bereitet ihr Vater einen Salat mit gartenfrischer Petersilie zu, die muss man jedes Jahr umpflanzen, sagt er, denn Petersilie mag sich selber nicht. Sie hat das grüne Kleid an, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hat, weil sie mit dem Wünschen nicht mehr aufgehört hat.
    Dann schloss Ariane die Augen.
    Immer schon lässt ihr Vater sie nur mit geschlossenen Augen probieren.

29
    E s ist eine Lüge, dass tote Menschen sanft aussehen. Sie sehen brutal aus. Sie sehen aus, wie der Tod aussieht.
    Er stand vor dem Bett. Das war schmutzig. Und sie war nackt.
    Und sie war nicht schön. Dabei hatte sie keine Narbe. Keine einzige Narbe. Keine, die man sehen konnte. Alles Bluff. Niklas betrachtete ihren Busen. Und die rotblonde Scham, die er nun zum zweiten Mal sah. Und er drehte sich sofort um. Nicht weil er glaubte, seine Mutter so nicht sehen zu dürfen. Er ertrug diesen von Lügen gesalbten Körper nicht. Ich muss hier weg, ich muss hier raus. Bevor ich durchdreh und alles kaputtschlag.
    Alles kaputt.
    Er schwankte aus der Tür. Hielt sich am Rahmen fest. Lehnte den Kopf dagegen. Als er vorhin die Gardinenschnur herunterriss, brach die Leiste ab. Die hing jetzt schräg vor dem Fenster.
    Draußen war es noch dunkel. Wie spät? Er hatte seine Uhr verloren. Scheiß auf die Zeit!
    An der Rezeption saß niemand. Kein Gerede. Nur noch eine Tat. Die Eingangstür war verschlossen, und er sperrte sie auf.
    Vor der Pension parkte ein schwarzer Golf. Älteres Modell. Ein Kinderspiel. Schilff holte sein Klappmesser aus der Manteltasche. Eine Minute später startete er den Wagen.
    Seine Kopfschmerzen kümmerten ihn nicht. Er hatte es geschafft aufzustehen und sich vollständig anzuziehen.
    Eins nach dem anderen. Als wäre da jemand gewesen und hätte ihm vorgesagt, was er zu tun hatte. Bis zu dem Moment, als sein Blick den Vorhang streifte. Da wurde ihm klar, weswegen er aufgestanden war. Welcher Tag es war, wusste er nicht. Er hatte keine Vorstellung davon, wie lange er im Fieber gelegen hatte. Er hatte immer noch Fieber. Doch in jener Sekunde, in der Nähe des Fensters, war alles entschieden, und er begriff, dass es kein Zurück gab.
    In dem schwarzen Auto verließ er die Stadt.
    »Wo bist du?«
    »Ich fahr in meine Richtung«, sagte Süden.
    »Allein?«
    »Schilff ist vor mir.«
    Es war halb sechs Uhr morgens.
    »Ich ruf dich wieder an, wenn ich weiß, wo er hin will.«
    »Vielleicht weiß ich, wo er hin will.«
    »Warum sagst du mir das nicht früher?«
    »Ich wollt es dir sagen, sobald ich im Dienst bin. Wir haben die Informationen heute Nacht erhalten. Es ist eine Möglichkeit, wir sind nicht sicher.«
    Süden fragte, was Sonja Feyerabend und Martin Heuer entdeckt hatten.
    »Wir haben eine ehemalige Kollegin von Hella Schilff ausfindig gemacht, eine Schauspielerin, die ist fast neunzig. Außerdem haben uns die Kollegen aus Sendung ein Fax geschickt, es geht um ein geklautes Auto in der Nähe von Arianes Wohnung. Die Kollegen haben gedacht, das könnte uns
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