Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
interessieren. Der Wagen wird heut Vormittag untersucht…«
    »Schilff ist in einem gestohlenen Wagen unterwegs. Was hat die alte Frau erzählt?«
    In der Morgendämmerung wirkte die verschneite Kleinstadt gutmütig. An einer Aral-Tankstelle brannte Licht. Schilff hielt an. Er fragte den Mann im Laden nach einer bestimmten Frau.
    »Was wollen Sie von der?«
    »Ich bin ihr Cousin, ich bin aus Amerika zurückgekommen und möchte hallo sagen.«
    »Hallo. So früh in der Früh?«
    »Heut Mittag flieg ich weiter nach Berlin, da werd ich in Zukunft leben.«
    »Waren Sie lang in Amerika? Bei uns haben sie nämlich in der Zwischenzeit das Telefon erfunden.«
    »Ich möcht sie überraschen. Aber ich kann sie auch von hier aus anrufen, wenn Sie mir die Nummer sagen. Wissen Sie, ob sie noch in Bad Reding lebt?«
    Schilff erfuhr ihre Adresse. Es war nur ein Versuch gewesen.
    Unterwegs hatte er plötzlich an sie denken müssen. Sie war der Typ, der nie den Ort verließ, aus dem er stammte. Vielleicht war sie gestorben. Oder sie war, entgegen ihrer Natur, einem durchreisenden Mann gefolgt und in der Fremde unglücklich geworden. Oder glücklich. Was wollte er von ihr? Ich habs doch eilig.
    »Wer sind Sie?«
    Der verschlafene Mann im grünen Trainingsanzug war Mitte vierzig und trug den rechten Arm in einer Schlinge.
    »Kann ich mit Miriam sprechen? Ich bin ein alter Freund.«
    Schilff stand vor der Tür eines Einfamilienhauses, auf einem Hügel oberhalb von Bad Reding. Es fing an zu schneien. Harter Wind schlug ihm von der Seite ins Gesicht.
    »Ja?« Die Frau hatte einen roten Trainingsanzug an und war auffallend dünn.
    »Ich bin Niklas Schilff.« Miriam sagte kein Wort.
    »Alles okay?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Ich geh wieder«, sagte er.
    »Niki…«, sagte sie. Hinter ihr tauchte jetzt wieder ihr Mann auf.
    »Du siehst…«, sagte Schilff. Dann strich er sich über die Wange, die von Stoppeln übersät war. »Ich wollt dich nicht erschrecken.«
    Sie drehte den Kopf zu ihrem Mann.
    »Auf Wiedersehen, alles Gute für die Kinder!«
    »Woher weißt du, dass ich Kinder hab?«, sagte sie. Er ging schon zurück zum Auto.
    »Ich hab geraten«, sagte er. Stieg ein. Fuhr weg.
    Miriam und ihr Mann blieben ein lichtbewachtes Paar im Rückspiegel. Schilff sah nach vorn.
    Viermal schlug er ihr ins Gesicht. Dann öffnete sie langsam die Augen.
    Ariane hatte die Hände auf dem Bauch gefaltet, unter der Decke und dem Mantel. Schilff hatte ihre Fesseln durchtrennt.
    »Vor dem Haus steht ein Auto«, sagte er. »Du hältst einfach die Drähte aneinander…«
    Sie sah zu ihm hinauf.
    »Du bist frei«, sagte er. Und: »Ich schreib nicht über dich.« Keine Gedanken waren mehr in seinem Kopf. Kein Bild.
    Kein Gesicht. Kein Geräusch. Kein Wummern und Brummen. Kein Hammer, der schlug.
    Mit leichter Hand verknotete er die Gardinenschnur am Treppengeländer im ersten Stock. Formte eine Schlinge und steckte den Kopf durch. Dann stieg er über das Geländer. Die Brille rutschte ihm von der Nase, fiel nach unten, zerbrach.
    Dann hörte er ein Knarzen. Beinah hätte er gelacht.
    »Nein«, sagte eine Stimme.
    Schilff hielt sich mit beiden Händen am waagrechten Geländer fest. Die Schlinge hatte er fest um den Hals gezogen und den Trenchcoat nicht aufgeknöpft.
    Er spürte, wie seine Finger das kantige, kalte Holz umklammerten. Ich muss springen, ich lass mich fallen. Zu spät! Zu spät! Schon als er die Stimme gehört hatte, war die Leere in seinem Kopf explodiert. Und ein Gedanke begann zu wuchern. Blitzschnell. Ein Gedanke, der seinen Plan vernichtete und ihn zurückverwandelte in den sich grenzenlos entfremdeten Fremden, als der er sich sein Leben lang an allen Orten und zu jeder Zeit empfunden hatte.
    Da ließen seine Finger das Geländer los. Erstaunt hob er den Kopf. Die Schnur spannte sich um seinen Hals. Das Licht war schäbig. Und Arme packten ihn. Und zerrten ihn wie ein Paket über das Geländer. Und legten ihn auf den Boden.
    Süden kniete sich neben ihn und zog ihm die Schnur über den Kopf.
    »Da war niemand bei meinem Vater.«
    »Niemand«, sagte Süden.
    »Niemand«, sagte Schilff. Niemand, sagte das Haus.

30
    A us der Brauerei hatten Rudi und Toni einen roten Ledersessel mitgebracht. Und in dem saß sie, eingehüllt in eine Kamelhaardecke, eine weiße Kappe auf dem Kopf. Sie ließ sich bedienen. Das »Glücksstüberl« war voller Gäste. Es war ihr Wunsch gewesen, den Geburtstag der Polizistin hier zu feiern, und Sonja hatte nichts dagegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher