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Verzaubert

Verzaubert

Titel: Verzaubert
Autoren: Laura Resnick
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nicht, dass Joe sie hörte. Er schimpfte noch immer. Deshalb schlug ich vor: »Sag ihnen, dass
jemand
vorbeikommt. Wenn Joe nicht will, werde ich gehen.«
    »Nun ja, das ist wohl das Mindeste, was du tun kannst.«
    »Hör zu, Matilda, irgendwer musste Golly da rausholen …«
    »Sie war nicht drin, falls du dich erinnerst«, stieß Matilda zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
    Das allerdings hatte Joe gehört. »Nur weiter so, erinnere mich nur die ganze Zeit daran! Damit ich es ja nicht vergesse!« Er schleuderte ihr die Worte entgegen, während er wutentbrannt den Flur entlanggelaufen kam. »Reib mir nur ständig unter die Nase, dass ich eine Frau verschwinden ließ!«
    Matilda warf ihm einen wütenden Blick zu und ging zum Telefon zurück. Wie vom Donner gerührt starrte ich Joe an.
    »Einen Moment mal! Einen ganz kleinen Moment!« Ich merkte, dass ich ebenfalls laut geworden war, und senkte daraufhin die Stimme. »Was läuft hier, Joe? Leidest du unter Wahnvorstellungen? Glaubst du allen Ernstes diesen Hokuspokus-Quatsch? Dass du Golly weggezaubert hast? Abrakadabra, Piff-Paff und sie ist nicht mehr da?«
    Joe wurde verlegen. »Du verstehst nicht, Esther. Sie … Ich spürte … Da war …«
    Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Joe! Reiß dich zusammen! Sieh den Tatsachen ins Auge!«
    Matilda erschien wieder. »Der Laden schließt um sechs. Du musst dich beeilen.«
    »Aber sie
hat
sich in Luft aufgelöst«, sagte Joe beharrlich.
    »Sie hat sich nicht in Luft aufgelöst!«, zischte ich ihn an. »Sie ist … davonspaziert. Vielleicht überkam sie das dringende Bedürfnis, mit Robert Kennedy Junior zu reden. Vielleicht dachte sie, sie hätte Elvis gesehen. Vielleicht wurde sie von einem dieser Schönheitschirurgen entführt, denen sie so viel Geld schuldet.«
    »Hä?«, lautete Joes einziger Kommentar.
    »Vergiss es. Gib mir die Wagenschlüssel des Transporters. Ich werde die Glaskiste holen«, sagte ich. »Sie und ich werden morgen früh um Punkt zehn im Theater sein, bereit für eine Generalprobe in voller Montur. Und du bist auch da, Joe, oder ich komme her und hole dich – und dann wird die schöne Assistentin den Magier in zwei Hälften sägen!«
     
    »Schöne Assistentin« war in meinem Fall eine Übertreibung. Als ich am folgenden Morgen in Gollys Garderobe die Kostüme anprobierte, wurde mir das wieder einmal deutlich vor Augen geführt: An der Brust waren mir alle Kleidungsstücke zu weit und am übrigen Körper saßen sie viel zu eng. Offenbar aß dieses Mädchen nie etwas. Nachdem ich auch der Gewandmeisterin versprechen musste, in Zukunft auf Ben & Jerry’s zu verzichten, riet sie mir, für den Augenblick einfach den Bauch einzuziehen.
    Mit meinen ein Meter siebzig war ich außerdem kleiner als Golly, so dass sämtliche Kostüme gekürzt werden mussten – von denen mir übrigens einige aufgrund meiner braunen Haare und meines hellen Teints niemals stehen werden. Ich fragte mich, ob man mir für die Rolle der Virtue wohl eine Perücke verpasste, da meine schlichte, schulterlange Frisur nicht die geringste Ähnlichkeit mit Gollys scheußlich schönen, bis zur Taille reichenden Engelslöckchen hatte.
    Ich habe die braunen Augen meines Vaters geerbt und die ausgeprägten Wangenknochen meiner Mutter. Das Ergebnis ist ein Gesicht, das – wie einer meiner Schauspiellehrer es ausdrückte – »eher wandlungsfähig als hübsch« ist. Seltsamerweise fühlte ich mich trotzdem geschmeichelt, als Golly einmal fragte, ob ich Wangenimplantate hätte. Während ich zurück in die Stadt fuhr, fragte ich mich, wie jemand in Gollys Alter bereits so viel über künstliche Körperteile wissen konnte. Ihr Leben musste fürchterlich gewesen sein. Seit sie nicht mehr da war und mir auf die Nerven ging, verspürte ich tatsächlich so etwas wie Mitleid mit ihr.
    Vermutlich fühlte ich mich auch ein wenig schuldig. Abgesehen von dem Moment der Fassungslosigkeit am Samstagabend hatte ich mir noch nicht eine Sekunde Gedanken um Golly gemacht. Ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich hämisch darüber zu freuen, dass ich ihren Job bekam. Jetzt versuchte ich mir vorzustellen, was aus ihr geworden war. Wie hatte sie auf diese Weise verschwinden können und weshalb? Wo steckte sie?
    Und was hatte es mit dieser mysteriösen Botschaft auf sich?
    Lopez hatte sich ungerührt gezeigt. Allerdings war er auch ein überarbeiteter Cop, dem genügend andere Fälle durch den Kopf schwirrten. Davon
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