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Vertraute Schatten

Vertraute Schatten

Titel: Vertraute Schatten
Autoren: Kendra Leigh Castle
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Nackenhaare.
    Während sie tiefer in den Raum hineinschritten, wich die Dunkelheit ganz allmählich einem ausgewaschenen Grau, in dem Ariane den Steinboden und die hohe gewölbte Decke ausmachen konnte. Doch was sie dann sah, ließ sie über ihre eigenen Füße stolpern.
    »Ach, Sariel. Ich hatte mich schon gefragt, ob du mich angelogen hast.«
    Die Stimme, samtig und unwiderstehlich und doch gleichzeitig bösartig, gehörte einem Wesen, das in der Mitte des Raums am Boden festgekettet war.
    Chaos.
    Ariane war auf ein Monster gefasst gewesen. Stattdessen sah sie einen Mann, der zweifellos mit den Ältesten verwandt war. Das Haar hing ihm strähnig und ungewaschen in ein Gesicht, wie es an die Decke der Sixtinischen Kapelle hätte gemalt sein können. Er war schön, aber er war auch schwer angeschlagen. Seine ramponierten ebenholzfarbenen Flügel standen in einem seltsamen Winkel von seinem Rücken ab, als wären sie mehrfach gebrochen worden. Er war groß und breitschultrig, aber so ausgemergelt, dass er nur noch Haut und Knochen war.
    Einen Moment lang empfand Ariane Mitleid mit ihm. Doch dann richtete Chaos den Blick auf sie, und sie sah das Feuer, das im Zentrum seiner ganz und gar schwarzen Augen tanzte. Das war mehr als Wahnsinn, mehr als Schmerz und Tod. Es war das Böse in Reinform.
    »Die Zeiten, in denen wir uns gegenseitig angelogen haben, sind vorbei«, sagte Sariel. »Schau nur, was für ein Festmahl ich dir gebracht habe.«
    Chaos beugte sich vor und starrte sie gierig an. Ariane spürte, dass er sich trotz seiner verwachsenen Gestalt, die nur mit einem dreckigen Lendenschurz bedeckt war, sofort auf sie gestürzt hätte, wären da nicht die Ketten gewesen.
    »Aha, Lucan. Mein gütiger Wärter. Ich hatte mich schon gefragt, wohin du verschwunden bist.«
    Lucan antwortete nicht, er starrte nur reglos vor sich hin. Chaos ließ den Blick zu Damien wandern und verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Und ein Kater. Wie passend.« Dann sah er wieder Ariane an, und sein Gesicht hellte sich auf. Sie versuchte, seinem Blick auszuweichen, irgendwohin zu schauen, nur nicht in diese beiden schwarzen Höhlen.
    »Sammaels Blut. Sehr schön. Denjenigen, der dich verwandelt hat, hat man mir auch versprochen,
d’akara
.« An Sariel gewandt, fuhr er fort: »Bring Sammael her. Und die anderen.«
    In seiner Stimme schwang ein rasiermesserscharfer Unterton mit, und Ariane fragte sich, inwieweit Chaos noch zurechnungsfähig war. Er klang, als würde er gleich ausrasten.
    Sariel gab jemandem hinter ihm ein Zeichen, dann betrachtete er seinen Bruder, wie Ariane auffiel, zum ersten Mal mit einem Anflug von Sorge.
    »Die anderen sind noch bewusstlos, Chaos. Und du hast doch gesagt, sie seien für die …«
    »Er will sie alle für sich allein, du Blödmann«, fauchte Damien ihn an. »Dir wird er die Seele schon auch noch aussaugen, einfach so zum Spaß.«
    Ariane gefror das Blut in den Adern, als Chaos daraufhin den Blick auf Damien richtete.
    »Vielleicht reiße ich dir erst die Zunge raus, Kater, bevor ich dir die Seele herausreiße.«
    In dem Moment hörte Ariane hinter sich Schritte und drehte sich um. Sam, stoisch wie immer, tauchte aus der Dunkelheit auf, gefolgt von Baraquel. Mit Erleichterung nahm Ariane wahr, dass Sam offensichtlich unverletzt war.
    Einen kurzen Moment lang trafen sich ihre Blicke, und Ariane sah, dass sein Kampfgeist ungebrochen war. Das machte ihr gleich wieder Mut, so aussichtslos die Situation auch schien. Zu viert sollte es ihnen doch möglich sein, Chaos Schaden zuzufügen, auch wenn er ein Dämon war.
    Sam starrte Chaos trotzig an, dann richtete er den Blick auf Sariel. »Chaos hat uns alle betrogen, und trotzdem hast du dich für ihn entschieden? Du machst einen Riesenfehler, Bruder. Ich hatte dir mehr zugetraut. Euch allen.«
    Sariel ließ das kalt. »Was haben wir für all die Jahre bekommen? Macht, die keine ist, Leben, das den Namen nicht verdient. Wir haben uns verleugnet und zum Himmel aufgeschaut in der Hoffnung, uns würde vergeben. Was sind wir erbärmlich! Der Dunkle Gefallene hat diesen Ort wenigstens genossen. Ich will auch endlich fühlen.« Ein Ausdruck uralten Schmerzes huschte über sein Gesicht. »Ich will fühlen, bevor ich zu Staub zerfalle. Ich habe es satt, bockige Kinder zu beaufsichtigen!«
    »Dann geh«, erwiderte Lucan leise. »Ich habe jahrelang hier unten dieses Monster bewacht. Seit ich diesen öden Ort verlassen habe, habe ich mehr gelebt als in den über
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