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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung
Autoren: John Grisham
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Wally ihr keine einzige Rechnung für die anwaltliche Vertretung ihrer beiden Söhne geschickt.
    Im Laufe der Jahre hatte es viele Tränen in Ms. Gibsons Leben gegeben, die häufig hinter verschlossener Tür in Wallys Büro vergossen wurden. Er gab ihr Ratschläge und versuchte zu helfen, wo es ging, doch sein größtes Verdienst bestand darin, dass er ihr zuhörte. Bei Wallys unstetem Lebenswandel konnte es allerdings schnell passieren, dass sich die Rollen umkehrten. Als seine letzten beiden Ehen den Bach runtergingen, war Ms. Gibson diejenige, die zuhörte und Zuspruch spendete. Und als es mit seiner Trinkerei immer schlimmer wurde, scheute sie sich nicht, ihn damit zu konfrontieren. Obwohl sie sich jeden Tag in den Haaren lagen, waren ihre Streitereien nie von langer Dauer und fanden häufig nur statt, um die Grenzen abzustecken.
    Bei Finley & Figg gab es Zeiten, in denen alle drei grummelten oder schmollten, was meist finanzielle Gründe hatte. Der Markt war übersättigt, es gab zu viele Anwälte, die nach Mandanten suchten.
    Ein weiterer Anwalt war das Letzte, was die Kanzlei gebrauchen konnte.

2
    David Zinc verließ die Linie L an der Quincy Station im Stadtzentrum Chicagos, und er schaffte es auch, die Treppe hinunterzugehen, die zur Wells Street führte – doch mit seinen Füßen stimmte etwas nicht. Sie wurden immer schwerer und seine Schritte immer langsamer. An der Ecke Wells und Adams blieb er stehen und starrte auf seine Schuhe, als könnte er dort einen Anhaltspunkt dafür finden, was mit ihm los war. Nichts, nur die Schnürschuhe aus schwarzem Leder, die von jedem männlichen Anwalt in seiner Kanzlei getragen wurden und von einigen der Frauen auch. Sein Atem ging stoßweise, und trotz der Kälte waren seine Achselhöhlen nass vor Schweiß. Er war einunddreißig Jahre alt, mit Sicherheit zu jung für einen Herzinfarkt, und obwohl er seit fünf Jahren nicht mehr genügend Schlaf bekam, hatte er gelernt, mit der ständigen Müdigkeit zu leben. Das dachte er zumindest. Er bog um eine Ecke und sah den Trust Tower vor sich, ein glitzerndes, an einen Phallus erinnerndes Ungetüm, das dreihundertdreißig Meter in die Wölken und den Nebel ragte. Als er stehen blieb, den Kopf in den Nacken legte und nach oben starrte, begann sein Herz zu rasen. Ihm wurde schlecht. Passanten rempelten ihn an, als sie sich an ihm vorbeidrängten. Er überquerte die Adams in einer dichten Menschentraube und trottete weiter.
    Das Atrium des Trust Tower war nach oben offen, mit Unmengen von Marmor und Glas und einer abstrakten Skulptur, die Wärme ausstrahlen sollte, in Wirklichkeit jedoch kalt und unnahbar wirkte, zumindest auf David. Sechs kreuzweise angeordnete Rolltreppen beförderten Horden müder Krieger zu ihren Arbeitsplätzen in den Großraumbüros. David versuchte es, doch seine Füße weigerten sich, ihn zu einer Rolltreppe zu bringen. Stattdessen setzte er sich auf eine lederbezogene Bank neben einem Haufen großer, bemalter Steinbrocken und versuchte zu verstehen, was mit ihm geschah. Menschen eilten an ihm vorbei, grimmig aussehend, mit tiefen Ringen unter den Augen, dabei war es doch erst 7.30 Uhr an diesem grauen Morgen.
    »Ausrasten« ist natürlich kein medizinischer Fachbegriff. Experten bedienen sich einer weitaus komplexeren Sprache, um den Moment zu beschreiben, in dem es jemandem zu viel wird. Trotzdem ist es etwas Reales. Es kann in Sekundenbruchteilen geschehen, als direkte Folge eines traumatischen Ereignisses. Es kann aber auch der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, der traurige Höhepunkt eines Prozesses, in dessen Verlauf der Druck immer größer wird, bis Körper und Geist ein Ventil finden müssen. David Zinc gehörte zu letzterer Kategorie. An jenem Morgen, nach fünf Jahren harter Arbeit mit Kollegen, die er nicht ausstehen konnte, geschah etwas mit ihm, während er neben den bemalten Steinbrocken saß und zusah, wie die gut gekleideten Zombies nach oben fuhren, um wieder einen ganzen Tag lang völlig sinnlose Arbeit zu verrichten. Er rastete aus.
    »Hallo, Dave. Willst du nach oben?«, sagte jemand. Es war Al aus der Antitrust-Abteilung.
    David schaffte es, zu lächeln, zu nicken und etwas zu murmeln. Dann stand er aus irgendeinem Grund auf und ging hinter Al her. Al war ihm einen Schritt voraus, als sie eine der Rolltreppen betraten, und redete über das Spiel der Blackhawks vom Abend zuvor. David nickte hin und wieder, während sie durch das Atrium nach oben schwebten. Unter
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