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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung
Autoren: John Grisham
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Barkeepers, der alle Geschichten dieser Welt schon einmal gehört hatte.
    »Ich glaube nicht.« David ging langsam zur Theke. Als er einen Blick nach rechts warf, sah er einen Mann, der offenbar die Besinnung verloren hatte, aber immer noch sein Glas umklammert hielt.
    David zog seinen anthrazitfarbenen Mantel aus und hängte ihn über die Lehne eines Barhockers. Dann setzte er sich, musterte die ordentlich in Reih und Glied stehenden Spirituosenflaschen vor sich, betrachtete die Spiegel und die Zapfhähne für das Bier und die zahllosen Gläser, die Abner perfekt arrangiert hatte. Als er sich alles angesehen hatte, sagte er: »Was empfehlen Sie vor acht Uhr?«
    Abner sah den Mann an, dessen Kopf auf der Theke lag, und sagte: »Wie wär’s mit Kaffee?«
    »Den hatte ich gerade. Gibt’s bei Ihnen Frühstück?«
    »Ja. Heißt bei uns Bloody Mary.«
    »Das nehme ich.«
     
    Rochelle Gibson lebte in einer Sozialwohnung, zusammen mit ihrer Mutter, einer Tochter, zwei Enkeln, wechselnden Konstellationen von Nichten und Neffen und manchmal auch dem einen oder anderen Cousin, der gerade keinen Platz zum Schlafen hatte. Um dem Chaos zu entkommen, floh sie häufig an ihren Arbeitsplatz, obwohl es dort manchmal schlimmer zuging als zu Hause. Jeden Morgen kam sie gegen 7.30 Uhr in die Kanzlei, holte die beiden Zeitungen von der Veranda, machte das Licht an, stellte den Thermostat ein, kochte Kaffee und sah nach AJ, dem Firmenhund. Während sie ihren Pflichten nachging, summte sie, und manchmal sang sie auch leise. Obwohl sie es keinem ihrer beiden Chefs gegenüber je zugegeben hätte, war sie sehr stolz darauf, Rechtsanwaltssekretärin zu sein, auch wenn es nur eine Kanzlei wie Finley & Figg war. Fragte man sie nach ihrem Beruf, antwortete sie immer: »Rechtsanwaltssekretärin.« Keine gewöhnliche Sekretärin, nein, Rechtsanwaltssekretärin. Was ihr an Ausbildung fehlte, machte sie durch Erfahrung wett. Acht Jahre Berufspraxis in diesem Teil der Stadt hatten sie eine Menge über die Juristerei und noch mehr über Anwälte gelehrt.
    AJ war ein Mischling, der in der Kanzlei lebte, weil niemand ihn mit nach Hause nehmen wollte. Er gehörte allen dreien – Rochelle, Oscar und Wally – zu gleichen Teilen, doch praktisch war Rochelle diejenige, die sich um ihn kümmerte. Der Hund war ein Streuner gewesen und hatte sich Finley & Figg vor einigen Jahren als Zuhause ausgesucht. Tagsüber schlief er in einem Körbchen in der Nähe von Rochelle, nachts streifte er durch die Kanzlei und bewachte das Haus. Er war ein passabler Wachhund und hatte mit seinem Bellen schon Einbrecher, Vandalen und sogar verärgerte Mandanten in die Flucht geschlagen.
    Rochelle fütterte ihn und füllte seine Schüssel mit frischem Wasser. Dann holte sie einen Becher Erdbeerjoghurt aus dem kleinen Kühlschrank in der Küche. Als der Kaffee durchgelaufen war, nahm sie sich eine Tasse und rückte einige Dinge auf ihrem Schreibtisch zurecht, auf dem stets mustergültige Ordnung herrschte. Der Schreibtisch war aus Glas und Chrom, ein beeindruckendes Möbelstück und das Erste, was die Mandanten sahen, wenn sie zur Tür hereinkamen. Oscars Büro war einigermaßen aufgeräumt. Wallys war eine Müllkippe. Die beiden Anwälte konnten sich hinter geschlossenen Türen verstecken, doch Rochelles Arbeitsplatz sah jeder.
    Sie schlug die Sun-Times auf und fing mit der Titelseite an. Während AJ hinter ihr schnarchte, las sie, nippte an ihrem Kaffee, löffelte den Joghurt und summte leise vor sich hin. Rochelle genoss die wenigen ruhigen Minuten am frühen Morgen. Schon bald würde das Telefon zu klingeln beginnen, die Anwälte würden eintreffen und später – wenn sie Glück hatten – die Mandanten, einige mit Termin, andere ohne.
    Um von seiner Frau wegzukommen, ging Oscar Finley jeden Morgen um sieben Uhr aus dem Haus, doch er war nur selten vor neun im Büro. Zwei Stunden lang fuhr er in der Stadt herum: Er hielt bei einem Polizeirevier an, wo einer seiner Cousins die Unfallberichte bearbeitete, schaute auf einen Sprung bei einem Abschleppunternehmen vorbei, um ein kleines Schwätzchen mit den Fahrern zu halten und die neuesten Gerüchte über die letzten Verkehrsunfälle zu erfahren, trank einen Kaffee mit einem Mann, der zwei Bestattungsinstitute der unteren Preisklasse betrieb, brachte Donuts zu einer Feuerwache und unterhielt sich mit den Fahrern der Rettungswagen. Gelegentlich streifte er auch durch seine Lieblingskrankenhäuser, wo er durch die Korridore ging
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